Presseinformation

PM: Hamburger Senat zieht gegen Volksentscheid „Schuldenbremse streichen!“ vor das Verfassungsgericht.

Aber nicht der Volksentscheid, sondern die Schuldenbremse ist verfassungswidrig!

Am Freitag, den 24.04.2020, gab die Hamburgische Senatskanzlei bekannt, gegen den Volksentscheid „Schuldenbremse streichen!“ einen Antrag beim Hamburgischen Verfassungsgericht gestellt zu haben. Der Senat bezweifle die Verfassungsmäßigkeit des Volksentscheids, mit dem die Schuldenbremse aus der Hamburgischen Landesverfassung wieder gestrichen werden soll.

Im Sommer 2019 sind über 13.000 Hamburgerinnen und Hamburger in der ersten Stufe des Volksentscheids, der Volksinitiative, mit ihrer Unterschrift eingetreten für ein Ende der Politik mit der Schuldenbremse zugunsten massiver Investitionen in die öffentlichen Bereiche Gesundheit, Bildung, Wissenschaft, Kultur, Soziales und Arbeit. Nach dem erfolgreichen Zustandekommen wurde die zweite Stufe, das Volksbegehren, angemeldet, bei dem innerhalb von drei Wochen ca. 65.000 Hamburgerinnen und Hamburger unterschreiben müssen. Der geplante Sammelzeitraum im Sommer 2020 verschiebt sich nun durch den Antrag des Hamburgischen Senats, bis das Verfassungsgericht entschieden hat.

Elias Gläsner, Mitinitiator des Volksentscheids „Schuldenbremse streichen!“, aktiv in der Studierendenschaft der Uni Hamburg und in der LINKEN Hamburg, sagt dazu: „Es ist blamabel, wenn dem Senat in der aktuellen Krisenlage nichts Besseres einfällt, als die Verfassungsmäßigkeit des Volksbegehrens anzuzweifeln, das genau jene dringend notwendigen staatlichen Investitionen dauerhaft ermöglichen will, die jetzt zwingend gefordert sind, um die Krise zu bewältigen: Investitionen in soziale Grundsicherung, ein öffentlich ausgebautes Gesundheitswesen, lebendige Kultur, Bildung und Wissenschaft, sozialen Wohnungsbau, eine nachhaltige Verkehrs- und Energiewende und die öffentliche Infrastruktur. Die aktuellen Herausforderungen wären nicht so belastend, wenn nicht seit Jahren durch die Schuldenbremsen-Politik am öffentlichen Gesundheitsdienst, an den Krankenhausinvestitionen und am Personal im öffentlichen Dienst gespart worden wäre. Die Situation in Ländern wie Griechenland, Italien oder Spanien veranschaulicht das auf dramatische Weise. Um die Krise nicht noch weiter zu vertiefen, muss eine andere Antwort als 2009 gegeben werden. Die Schuldenbremse war immer falsch. Sie ist nicht nur auszusetzen, sondern sofort zu beenden. Die Bevölkerung wird nicht noch einmal für die Fehler neoliberaler Politik bezahlen. Das gebietet der gesunde Menschenverstand, die Humanität, unsere grundgesetzliche Verpflichtung zu Menschenwürde und sozialem Rechtsstaat sowie die Hamburger Verfassung, nach der die Stadt als Mittlerin zwischen den Völkern und Erdteilen zur Deckung des wirtschaftlichen Bedarfs Aller beitragen soll (Präambel).
Ein politisches Vorhaben ist nicht verfassungswidrig, nur, weil es dem Senat nicht gefällt. Die juristischen Zweifel des Senats sind konstruiert, wenig stichhaltig und sollen vor allem von dem eigenen Politikversagen ablenken. Wir sind überzeugt, dass sie vor Gericht keinen Bestand haben werden und bereiten umso motivierter und zuversichtlicher die – nun leider sich nach hinten verschiebende – zweite Sammelphase vor. Im Übrigen weisen wir die völlig haltlose Behauptung von Herrn Dressel strikt zurück, dass unser Gesetzentwurf die jetzigen Ausnahmekredite verunmöglichen würde. Als Jurist und SPD-Mitglied sollte der Finanzsenator wissen, dass Länder wie Nordrhein-Westfalen die Ausnahmeregelungen auch anwenden können, ohne eine Schuldenbremse in ihrer Landesverfassung verankert zu haben. Die dafür notwendigen Änderungen der Landeshaushaltsordnung kann die Bürgerschaft jederzeit beschließen. Sollten ähnlich unverantwortliche Falschbehauptungen wiederholt öffentlich Verbreitung finden, behalten wir uns auch vor, dagegen juristisch vorzugehen.“ 

Dazu ergänzt Svenja Horn, Mitinitiatorin des Volksentscheids „Schuldenbremse streichen!“, aktiv in der Studierendenschaft der Uni Hamburg und bei den GRÜNEN Hamburg: „Mit dem Antrag an das Hamburgische Verfassungsgericht gegen den Volksentscheid ‚Schuldenbremse streichen!‘ stellt sich der Hamburgische Senat noch weiter ins politische und demokratische Abseits. Zahlreiche Hamburgerinnen und Hamburger lehnen die Schuldenbremse ab. Die Schuldenbremse selbst ist ein Verfassungsverstoß, weil sie die demokratisch gewählten Parlamente entmachtet. Der politische Entscheidungsspielraum wird mit der Schuldenbremse der wirtschaftlichen Konjunkturentwicklung unterworfen, anstatt – wie es mit dem Grundgesetz und der Hamburgischen Landesverfassung eigentlich gewollt ist – demokratisch in sozialer Verantwortung in die wirtschaftliche Entwicklung eingreifen zu können. Dass nur im Falle von Katastrophen kreditfinanzierte Investitionen möglich sein sollen, schließt eine demokratische, gesamtwirtschaftliche Planung zum Allgemeinwohl systematisch aus. Zudem wird der Handlungsspielraum durch die momentan nur temporäre ‚Aussetzung‘ der Schuldenbremse zukünftig noch begrenzter, da die Schuldentilgung die zukünftigen Haushalte unmittelbar belasten wird. Deswegen müssen die Regelungen zur ‚Schuldenbremse‘ jetzt komplett gestrichen werden, sowohl aus der Hamburger Verfassung als auch aus dem Grundgesetz.“

Andreas Scheibner, Mitinitiator des Volksentscheids „Schuldenbremse streichen!“, aktiv in ver.di Hamburg, führt weiter aus: „Politische und gesellschaftliche Verantwortung wahrzunehmen bedeutet, die Lebensbedingungen der Bürgerinnen und Bürger in Hamburg und der ganzen Welt durch den Ausbau des Sozialstaats zu verbessern. Die Schuldenbremse muss dafür aus den Verfassungen gestrichen werden, damit endlich das Gesundheitswesen ausgebaut, der öffentliche Dienst bedarfsgemäß finanziert, die Schulen und Hochschulen finanziell auf gute Grundlagen gestellt, die Kultureinrichtungen ausreichend unterstützt und insgesamt das Gemeinwesen demokratisch gestaltet werden kann.
Dass eine Streichung der Schuldenbremse aus der Hamburgischen Landesverfassung grundgesetzwidrig sei, ist schon deswegen haarsträubend, weil sie gar nicht in allen Landesverfassungen steht. Die staatlichen Ressourcen sollten vielmehr in den Dienst des Allgemeinwohls gesteckt werden, statt in fragwürdigen und gesellschaftlich unverantwortlichen Beschwerden vor dem Verfassungsgericht verschwendet zu werden.
Wir sind zuversichtlich, auch die nächste Stufe im Volksentscheid „Schuldenbremse streichen!“ mit zahlreichen Unterstützerinnen und Unterstützern nehmen zu können. Wir rufen alle Hamburgerinnen und Hamburger dazu auf, sich an dieser Auseinandersetzung um die Streichung der Schuldenbremse und den Ausbau des Sozialstaats zu beteiligen.“