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Filmseminar: Ende einer Dienstfahrt

Juli 30 @ 21:00 - 23:30

(Spielfilm | Regie: Hans-Dieter Schwarze | BRD 1970 | 90 Min. | deu)


Das Militärische genießt nach wie vor und zurecht auch aufgrund der Geschichtekein hohes Ansehen in der deutschen Bevölkerung. Nach den aktuellen Aufrüstungsplänen der Bundesregierung soll die Bundeswehr jedoch zur größten Landstreitkraft Europas ausgebaut werden (inklusive Wehrpflicht, nuklearer Bewaffnung und „Notstandsgesetzen“ zur Generalmobilmachung im „Ernstfall“) und dafür auch gesellschaftlich ein vorbildhaftes Image verliehen bekommen. Die öffentliche Rechtfertigung dieser Militarisierung geht mit einerrabiaten Verkehrung aller Schlussfolgerungen aus dem deutschen Faschismus einher: Nicht nur wird zum vierten Mal (WK1, WK2, Kalter Krieg) das Schauermärchen vom drohenden Einfall „russischer Horden“ aus dem Osten bemüht. Es soll auch vergessen gemacht werden, dass schon zur Einführung der Bundeswehr 1955 der demokratische Mehrheitswillen der westdeutschen Bevölkerung, das Grundgesetz, die Bestimmungen des alliierten Kontrollrats, die Grundrechte der außerparlamentarischen Opposition sowie alle ernsthaften Bemühungen um eine Entnazifizierung der Gesellschaft außer Kraft gesetzt werden mussten.

Dieser unauflösbare Widerspruch zwischen betont harmloser Erscheinung und strukturell zutiefst inhumanem Wesen der Armee ist das hochaktuelle, spannungsreich und humorvoll reflektierte Thema der restaurationskritischen Groteske „Ende einer Dienstfahrt“, die 1966 von Heinrich Böll verfasst und 5 Jahre später von Hans-Dieter Schwarze kongenial verfilmt wurde.

Den Mittelpunkt der Handlung bildet ein abstruser Gerichtsprozess im fiktiven, rheinischen Kleinstädtchen Birglar. Johann Gruhl, der ortsansässige Tischlermeister, und sein frisch aus dem Wehrdienst entlassener Sohn Georg sind angeklagt, während der Dienstzeit einen Jeep der Bundeswehr entwendet und auf offenem Felde verbrannt zu haben. Von Beginn an gestehen sie die Tat ein. Auf Intervention höherer Staatsbeamter wird jedoch keine Anklage wegen Sabotage oder Fahnenfluchterhoben, sondern alles dafür getan, den Vorfall herunterzuspielen. Dazu gehört, dass die Lokalpresse zu einem anderen Gerichtsprozess umgeleitet, die Verhandlung einem gutmütigenLokalrichter übertragen und im kleinsten Saal des Amtsgerichtes abgehalten wird. Außerdem werden zahlreiche Entlastungszeugen geladen, die den tadellosen Charakter der Angeklagten bestätigen sollen. Einzig der ortsfremde Staatsanwalt muss immer wieder zurechtgewiesen werden, seine politische Abscheu gegen die zersetzende Handlung der Gruhls im Zaum zu halten. Um jeden Preis soll vermieden werden, dass die wahren Motive der Gruhls zur Sprache kommen. Diese könnten nicht nur die korrupten, abgrundtief stumpfsinnigen Strukturen und Zwecksetzungen der Armee der Lächerlichkeit preisgeben, sondern auch noch die unrühmliche Vorgeschichte und spießbürgerliche Doppelmoral zahlreicher Honoratioren der „guten Gesellschaft“ auffliegen lassen, die nach 1945 so sehr um den Anschein ihrer demokratischen Geläutertheit bemüht sind. So werden die Gruhls umgarnt und ihre aufrührerische Tat als harmlose „Kunstaktion“ deklariert.

Dem Publikum dringen jedoch mit jedem prozessualen Verrenkungsakt die verborgenen Motive der handelnden Akteure immer klarer zu Bewusstsein. Auf diese Weise entfaltet die filmische Satire ihre aufklärerische Sprengkraft. Sie entlarvt nicht nur die fundamentale Verlogenheit einer aus ihrer Vergangenheit nicht lernen wollenden Gesellschaft, sondern bildet auch ein nachdrückliches Plädoyer für die konsequente Entfaltung jedes humanistisch begründeten Nicht-Einverstanden-Seins mit dieser Gesellschaft.

Desertion und Kriegsdienstverweigerung gehören elementar dazu.Der Frieden als soziale Verwirklichung der Gewaltfreiheit ist die engagiert wahrzunehmende Vermenschlichungsarbeit, der sich auf Dauer niemand entziehen kann. Der Helm des Kriegsgottes birgt einen hohlen Schädel. Zivile Entfaltung schafft Perspektive und frohen Menschensinn. Das „Bierernste“ darf auch herzlich verlacht werden.

International solidarisch – Schluss mit Austerität!

Gruhl habe gelitten unter dieser >Quaternität des Absurden<; Sinnlosigkeit, Unproduktivität, Langeweile, Faulheit, die er, Kuttke, geradezu für den einzigen Sinn einer Armee halte. Hier wurde Stollfuss böse, fast laut rief er dem Zeugen zu, endlich zur Sache zu kommen und dem Gericht seine Privatphilosophie zu ersparen.
Heinrich Böll, „Ende einer Dienstfahrt“, 1966.

Den Flyer findet ihr hier auch als [pdf] zum Download.

Details

Datum:
Juli 30
Zeit:
21:00 - 23:30
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