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Filmseminar: Ein Polterabend
(Spielfilm | Regie: Curt Bois | DDR 1955 | 90 Min. | deu)
Als Freiluftkino geplant, bei schlechtem Wetter im Anna-Siemsen-Hörsaal, Von-Melle-Park 8.
Die Zeit schreit nach Satire. Je unverhohlener die politisch-medialen Sachwalter der herrschenden Ordnung die Kriegstrommel rühren und dafür auch konventionelle, geschlechtsspezifische Tugendbilder wieder aus der Mottenkiste zu holen bemüht sind, desto beißenderen Spott braucht es zur zivilisierenden, aufgeklärt-emanzipatorischen Überwindung diesermenschen- und menschheitswidrigen Anachronismen.
Ein herausragendes Lehrstück in dieser Hinsicht bildet das 1955 unter der Regie von Curt Bois inszenierte Lustspiel „Ein Polterabend“. Mitten in der Auseinandersetzung um die restaurativen Wiederaufrüstungsbestrebungen der Bundesrepublik West greift die Verfilmung der 1951 veröffentlichten Alt-Berliner Posse des Kabarettisten und DEFA-Autors Werner BernhardySzenarien aus dem Leben des Vormärz-Literaten und Satirikers Adolf Glaßbrenner (1810-1876) auf.
Glaßbrenner gab mehrere Zeitschriften heraus, in denen er mit scharfem, mundartlich-sozialkritischem Witz die „niederen Stände“ gegen die preußisch-militaristische Obrigkeit aufwiegelte und wurde so nicht nur zu einem publizistischen Wegbereiter der demokratischen Revolution 1848 in Deutschland, sondern in Folge ihres Scheiterns auch zur Zielscheibe des Verfolgungswahns der reinstallierten, kaiserlich-preußischen, biedermeierlichen Reaktion.
In der karikaturesk erzählten Filmsatire figuriert diese Reaktion im Kultusminister Presskopp, der mithilfe der Baronin Tusnelda von Dunklage, ihres Zeichens Vizepräsidentin des Tugendbundes preußischer Jungfrauen, den oppositionellen „Brennglas“ domestizieren will, indem er dessen Verlobte, die Schauspielerin Adele Peroni, mit einer vertraglichen Anstellung an das preußische Hoftheater in Berlin zu binden versucht. Da die Heirat mit einer zur Kaisertreue verpflichteten Staatskünstlerin ihn in den Augen seiner kritischen Anhängerschaft unwiderbringlich kompromittieren müsste, versucht Brennglas die Premierenvorstellung zu sabotieren, indem er Ausgaben seiner illegalen Flugschriften ans Theater schmuggelt. Auf Umwegen gelingt es Presskopp jedoch, diese Tat erpresserisch gegen Adele zu wenden und sie zur Vertragsunterzeichnung zu zwingen. Dank des Vizegefreiten Pippich, dem zunächst devoten Bediensteten der „Tugend“-Baronin, dessen Aufsässigkeit im Laufe der Auseinandersetzung stetig wächst, nehmen die turbulenten Verwicklungen schlussendlich allerdings eine glückliche Wendung: Im Laufe des finalen Polterabends, bei dem alle relevanten Akteure der widerstreitenden gesellschaftlichen Schichten versammelt sind, werden die Obrigkeiten selbst ihrer Verlogenheiten wegen überführt und im Bediensteten-Trakt des Freudenhauses festgesetzt.
Das Lustspiel lebt allerdings weniger von der Aussagekraft seiner Handlung. Entscheidend für die zutiefst aufklärerische Wirkung dieser unterhaltsamen Groteske ist die treffsichere, nachhaltige Verächtlichmachung all jener figürlich repräsentierten, gesellschaftlichen Institutionen, die mit ihren unumstößlich erscheinenden Sittlichkeitsgeboten das rigide Regime von Krieg, Konkurrenz und Klassenherrschaft zum Naturgesetz zu erklärentrachten.
Der Humor ist das Mittel, das ihnen diese lähmende Macht nimmt. Er eröffnet nicht nur den unverstellten Blick auf das dürftig-überkommene Wesen hinter der autoritären Erscheinung, sondern auch die Einsicht in die erfreuliche Möglichkeit der Gestaltung eines grundlegend anderen, besseren, menschenwürdigen Daseins.
Wer lacht, hat keine Angst vor dem Teufel und kann befreit, genussreich und oppositionell engagiert wirken für Frieden, Humanität und soziale Gleichheit. Das ist der übergreifende Sinn der Satire. Sie weist somit stets über ihre Zeit hinaus. Wir können ihr frohen Mutes folgen.
International solidarisch – Schluss mit Austerität!
„Denn das ist Humor: durch die Dinge durchsehen, wie wenn sie aus Glas wären.“
Kurt Tucholsky, „Brief an Mary Gerold“, 4. Oktober 1918.