FAQ zur Abschaffung der Schuldenbremse aus volkswirtschaftlicher Perspektive

Anregungen und Tipps zum Weiterlesen

FAQ der Pluralen Ökonomen

 

Volkswirtschaftliche Mythen und einige Argumente dagegen

Mythos1: „Man kann nur so viel Geld ausgeben wie man hat.“ (bzw. eingenommen hat)

Die Binsenweisheit „du sollst nicht mehr ausgeben, als du eingenommen hast“, kann so nicht auf eine wirtschaftliche Einheit wie den Staat angewendet werden. Staaten fungieren als eigenes Subjekt im wirtschaftlichen Geschehen und sind zentraler Träger politischer Handlungskompetenz, wenn es um makroökonomische (d.h. gesamtökonomische) Wirtschaftspolitik geht. In Zeiten wirtschaftlicher Krisen ist es sogar aus Perspektive kritischer Ökonomie dringend notwendig, dass der Staat anti-zyklische Wirtschaftspolitik macht und mit Ausgaben- und Konjunkturprogrammen den wirtschaftlichen Einbruch abfedert und über sozialpolitische Maßnahmen die sozialen Folgen der Krise abmildert. Die Schuldenbremse als immense haushaltspolitische Einschränkung begrenzt diese Möglichkeit stark. Zwar sind auch bei der Schuldenbremse im GG Ausnahmen bei Wirtschaftskrisen (und Naturkatastrophen) vorgesehen, jedoch nur beim Bund und mit hohen Hürden bzw. mit unkonkreten Formulierungen. Die Möglichkeit, frühzeitig und mutig als Staat in das Wirtschaftsgeschehen einzugreifen wird mit der Schuldenbremse auf jeden Fall immens erschwert. Die ökonomische Fahrlässigkeit der Schuldenbremse wird sich verstärkt in Zeiten eines wirtschaftlichen Rückgangs (Rezession) zeigen.

Darüber hinaus hat dieses Argument keine profunde Grundlage, da auch jedes Unternehmen und private Haushalte über Kredite (also Schulden) größere Investitionen finanzieren. Auch öffentliche Investitionen können durch Schulden finanziert werden und bilden einen konkreten Gegenwert (zum Beispiel soziale Infrastruktur). Die kommenden Generationen nutzen diese schuldenfinanzierten Infrastrukturen und leisten über den staatlichen Schuldendienst einen Anteil an der gemeinsamen Finanzierung.

Zum Weiterlesen: https://steuermythen.de/mythen/mythos-19/

 

Mythos 2: „Der Staat als Akteur ist eindeutig der schlechtere und ineffizientere Manager, und darf nur im Notfall in den Markt eingreifen. Private können es einfach besser!“

Diese Aussage suggeriert, dass der Staat lediglich ein „Unternehmen“ sei wie jeder andere Großkonzern und somit von der „Leitung“ des Unternehmens mit Managementkonzeptionen „regiert“ werden muss. Gerade in der aktuellen Situation muss dieser Mythos zurückgedrängt werden. Wir brauchen den Staat mehr denn je um uns vor dem Versagen der Marktwirtschaft in den zentralen gesellschaftlichen Bereichen zu schützen. Finanzkrise, Klimakrise und enorme Vermögensungleichheit sind nur einige Beispiele. Dafür muss der Staat ökonomisch gesehen wieder eine gestalterische Rolle einnehmen um eine demokratische und nachhaltige Entwicklung für die Vielen fördern. Und dafür braucht es auch eine deutlich höhere Staatsquote, das heißt ein mehr staatliche Ausgaben im Verhältnis zum Bruttoinlandsprodukt.

Die Schuldenbremse ist daher lediglich ein neoliberales Instrument zur Begrenzung allgemeiner Staatlichkeit über den Umweg der öffentlichen Finanzen. Dem entgegen steht ein Staatsverständnis, das den Staat überhaupt erst als Ermöglichungsinstanz gesellschaftlicher Strukturen versteht. Ein Marktumfeld könnte bspw. nicht ohne einen tätigen Staat existieren.

Zum Weiterlesen: ein ganz Artikel über Achim Truger, der aktuell für als Nominierter der Gewerkschaften im Sachverständigenrat (Wirtschaftsweisen) sitzt
https://www.zeit.de/2019/14/achim-truger-wirtschaftsweise-reichensteuer-investitionen-staatsverschuldung

 

Mytos 3: Staatliche Schulden sind schlecht, weil wir als Volkswirtschaft erst einmal Ersparnisse brauchen. Erst die Ersparnisse der Einzelnen Privaten Akteure bilden die Grundlage von Kreditvergabe und somit Investitionen.

Dies ist eines der Standart-Argumente der neoklassischen Wirtschaftstheorie, welche davon ausgeht, dass die Kreditnachfrage dominant davon abhängt, dass vermögende Teile der Gesellschaft ihr Geld zu Bank bringen und darauf dann die Kredite für Schuldner*innen finanziert werden. Die Schlussfolgerung dieses Denkens: das Sparen sei die Grundlage von Investitionen und damit gibt es auch eine Rechtfertigung für die immensen Vermögen der Reichen und Kapitalist*innen, denn nach dieser Vorstellung bilden erst diese großen Finanzanlagen die Ersparnis, auf deren Grundlage Kredite an Investitionswillige vergeben werden.

Das hat mit dem modernen Finanzsystem so gut wie gar nichts zu tun. Schon Keynes und andere heterodoxe/kritische Ökonom*innen haben eingesehen, dass für Investitionen keine Ersparnisse nötig sind, sondern dass Geld in einer Marktwirtschaft einfach von Banken geschöpft wird. Die Nachfrage nach Krediten (also der Bedarf an Finanzmitteln für Investitionstätigkeit) wird maßgeblich von der Absatzerwartung der Unternehmen, dem allgemeinen wirtschaftlichen Umfeld und den Kreditkonditionen beeinflusst und nicht von der Höhe der Einlagen, die andere „Sparer“ auf die Bank bringen.

 

Mythos 4: „Ein zu großer Schuldenberg ist schlecht für das Wachstum und man muss mit immer mehr Steuergeldern die Zinsen der Altschulden bezahlen.“

Der erste Teil des Arguments kursiert schon lange in der öffentlichen und akademischen Debatte, zentral verstärkt durch ein berühmtes Papier von zwei Ökonom*innen (Reinhard/Rogoff), welches behauptete, dass es eine magische Grenze von Verschuldung (90% des BIP´s) gibt. Ab dieser Schwelle soll ein Schuldenstand wachstumshemmend ist. An dieser Studie haben sich auch sehr viele politisch Herrschende (vor allem im Austerität-Europa Wolfgang Schäubles) orientiert. Im Verlaufe der Debatte stellte sich jedoch heraus, dass die Autor*innen schwere handwerkliche Fehler in der Studie gemacht haben, und die Ergebnisse nicht haltbar sind. So zeigt beispielsweise auch Japan das Gegenteil, da sich das Land mit einem Schuldenstand von mehr als 237% des BIP immer noch zu relativ günstigen Konditionen Geld leihen kann, da das Vertrauen in die Wirtschaft beständig hoch ist.

Zum zweiten Teil des Mythos: wir haben aktuell eine Phase mit historisch niedrigen Zinsen. Auf einige deutsche Staatsanleihen (darüber verschuldet sich aktuell der Staat an den Finanzmärkten) wurden sogar Negativzinsen gezahlt (also der Staat verdient teilweise daran, dass er Kredite aufnimmt). Es ist also aktuell die Situation, dass die öffentliche Hand zu nie dagewesenen, günstigen Konditionen die Investitionen in die Zukunft (in Kultur, Bildung, Wissenschaft, Infrastruktur etc.) tätigen und finanzieren könnten. So sollte eigentlich genau jetzt der Zeitpunkt sein, an dem wir die Investitionen und Staatsausgaben massiv erhöhen und über Schulden günstig finanzieren.

Aber auch in Zeiten, in der die Zentralbank die Leitzinsen wieder anhebt, ist es nicht automatisch der Fall, dass der Schuldendienst den öffentlichen Haushalt belastet, da die Wirtschaft ja durch die erweiterte Investitionsfähigkeit auch steigt und somit die Schuldenlast für die öffentliche Hand gut tragfähig bleibt.

Zum Weiterlesen: https://makroskop.eu/2019/05/die-magische-90-prozent-grenze/

(wenn ihr den ganzen Artikel und weitere lesen wollt, meldet euch bei Bernd oder Justus, es kann nämlich sein, dass Makroskop ab dem Spätsommer leider wieder eine Paywall einrichtet, bis dahin ist der Artikel frei lesbar)

 

Mythos 5: „Es ist doch genügend Geld da. Wir haben Rekordsteuereinnahmen und investieren als Staat so viel wie noch nie!“

Bei diesem Mythos wird an einigen Ecken und Enden etwas verdreht bzw. ausgelassen.

  1. Zum einen ist grundsätzlich natürlich nicht genügend Geld für das da, was

gesellschaftlich notwendig wäre! Ein demokratischer Prozess zur Ermittlung des Notwendigen muss sich am gesellschaftlichen Bedarf statt an der Kassenlage der öffentlichen Haushalte orientieren. Dafür muss die Verteilungsfrage in den Mittelpunkt der Diskussion gesetzt werden.

  1. Zum zweiten müssen Steuereinnahmen und Investitionen als volkswirtschaftliche Größen immer in Relation gesetzt werden. Zum einen zum Bedarf und zum anderen zur allgemeinen Wirtschaftskraft.

Zum Bedarf: der Investitionsrückstand allein der Kommunen beträgt aktuell ca. 159 Mrd.€. Zur Verdeutlichung der kurzfristig Möglichen: Wenn in dem Maße Schulden aufgenommen werden würden, wie die Wirtschaft wächst, könnte dieser Investitionsstau innerhalb von ca. drei Jahren (monetär) behoben werden. Die Lohnabhängigen haben letztes Jahr ca. 1,5% Wachstum erwirtschaftet. Würde sich der Bund in dem Maße neu verschulden (wodurch der Schuldenstand um keinen Prozentpunkt steigen würde), ständen der Gesellschaft jährlich ca. 50 Milliarden Euro zur Verfügung.

  1. Zur Relation: Wenn sich die Wirtschaft eines Industrielandes positiv entwickelt, müssen auch die Investitionen übermäßig steigen um den Bedarf an neuer Infrastruktur zu decken. Mehr Fabriken und Hochschulen brauchen auch mehr Straßen und Bahnen. Investitionen müssen steigen, die Investitonsquote in Relation zum BIP sollte relativ ähnlich bleiben. Seit Jahren ist diese Quote aber konstant niedrig, trotz des Umstandes, dass wechselnde neoliberale Finanzminister jährlich (absolut) steigende Investitionen in der Wirtschaft bejubeln. Vor allem auch Vergleich zu anderen OECD Ländern ist die Investitionsquote Deutschlands konstant gering und mehrere Prozentpunkte und vergleichbaren Industrieländern.
  2. Rekordsteuereinnahmen sind in Zeiten des Wachstums und ohne erhebliche Steuereinnahmen normal.
    Wenn eine Wirtschaft wächst, die Preise steigen und es nicht zu erheblichen Steuersenkungen gekommen ist (was in Deutschland in den letzten Jahren der Fall war), dann sind höhere Steuereinnahmen im Vergleich zu den Vorjahren keine Besonderheit, sondern der Regelfall. So hatte Deutschland von 1966-2016 insgesamt 43 Jahre mit sog. „Rekordsteuereinnahmen“. Es ist also komplett irreführend den nominalen Wert der Steuereinnahmen als Indikator zu nehmen. Ein besserer Indikator für die Steuereinnahmen, der für Preise und Wachstum bereinigt ist, ist die Steuerquote, also die Steuereinnahmen relativ zum Bruttoinlandsprodukt. Die Steuerquote liegt in Deutschland zurzeit in etwa im historischen Durchschnitt.

Zum Weiterlesen: https://www.kfw.de/KfW-Konzern/KfW-Research/KfW-Kommunalpanel.html

https://www.kfw.de/KfW-Konzern/KfW-Research/KfW-Kommunalpanel.html

(der Artikel ist zwar von Handelsblatt und daher mit gesunder Skepsis zu lesen, jedoch verdeutlicht er sehr prägnant den oben angesprochenen Zusammenhang)

https://steuermythen.de/mythen/mythos-11/

 

Mythos 6: „Die Schulden von heute müssen die zukünftigen Generationen bezahlen.“

 Wer die Abschaffung der Schuldenbremse fordert um z.B. den Sozialstaat schuldenfinanziert auszubauen wird oft mit dem Argument konfrontiert, dass diese Forderungen immer zu Lasten der kommenden Generationen zu verwirklichen sind. Schuldenfinanzierte Sozialpolitik sei also ungerecht den kommenden Generationen gegenüber und somit letztlich auch nicht sozial.

Hier liegen folgende Missverständnisse vor:

  1. Generationengerechtigkeit bedeutet Vorsorge für die nächsten Generation.

Für diese Vorsorge muss jetzt investiert werden, damit zukünftige Generationen vom Ausbau der öffentlichen Infrastruktur und der öffentlichen Dienstleistungen profitieren können. Das Dogma der „Schwarzen Null“  setzt gerade die Investitionen der Kommunen unter Druck. Da auf Sozialausgaben ein rechtlicher Anspruch besteht, werden bei einem angeordneten Sparzwang zuerst die Investitionen gekürzt. Öffentliche und soziale Investitionen in die Zukunft sind also die ersten Opfer der Schuldenbremse.

Ein ausgeglichener Staatshaushalt ersetzt keine maroden Schulen.

  1. Die hohe Verschuldung einiger Länder seit der Finanzkrise ist kein Generationenkonflikt, in dem Sinne, dass die heute Lebenden, den morgen erst Geborenen eine Last hinterlassen. Die kommenden Generationen erben ja ebenso die Schulden wie die Vermögen der vorangegangenen. Aus Sicht der gesamten Volkswirtschaft handelt es sich bei Staatsverschuldung um eine reine Bilanzverlängerung, ohne dass das Nettovermögen sich ändern würde. Die Ausgabe einer Staatsanleihe steigert die Verschuldung des Staates nämlich in exakt gleicher Höhe wie die Vermögensbildung im Privatsektor. Innerhalb der kommenden Generation gibt es natürlich solche Personen, die von der Vermögensbildung ihrer Eltern profitieren und solche, die dies nicht tun. Dies ist aber bestenfalls ein Verteilungskonflikt innerhalbder kommenden Generation und nicht zwischenden Generationen.

Zum Weiterlesen: https://steuermythen.de/mythen/mythos-19/

https://was-ist-geld.de/geld-und-vermoegen/