Kino

Theater gegen Austerität – LIVE

September 30 @ 18:0022:00

LIVE –  (Theateraufführung |Autor: C. Eldagsen/Regie: L. Jakschas | D 2019 | 90 Min. | deu)

Abweichend im Hörsaal ESA A, im Uni-Hauptgebäude.


Näheres zum Stück:
„Wer Visionen hat, sollte zum Arzt gehen.“ Mit diesem programmatischen Satz lieferte seinerzeit Helmut Schmidt im Bundestagswahlkampf 1980 bereits die Vorschau auf die deutsche Variante des neoliberalen „There Is No Alternative“-Dogmas von Margaret Thatcher. Diese zunehmend in Frage gestellte gesellschaftliche Doktrin richtet sich seit jeher und bis heute gegen die sozial-progressiven, emanzipatorischen Kämpfe und Errungenschaften der 68er Bewegung, gegen das weltweit wachsende Engagement für Frieden und soziale Gerechtigkeit und damit gegen die zivilisationsgeschichtlich tatsächliche Bedeutung eines Jeden für die Verwirklichung global menschenwürdiger und erfreulicher Lebensverhältnisse.

Visionen – einer solchen besseren Welt – hat auch der Protagonist dieses Theaterstückes. Und wird dafür in die Psychiatrie gesteckt. Dort malträtieren ihn zwei weiße Kittel medikamentös und versuchen ihm die „pubertären sozialistischen Flausen“ auszutreiben. Doch „der Fall“ möchte zeigen, dass nicht er krank ist, sondern die Gesellschaft: Privatisierung der Rente, staatlich abgesegneter Steuerraub in Milliardenhöhe („Cum Ex“), ein Kampf Aller gegen Alle von Individuen und Standorten, eine „Rettung“ Griechenlands die eigentlich eine der Banken ist, neokoloniale Ausbeutung des globalen Südens etc. –  untrügliche Symptome eines pathologischen Geschehens. Und so entwickelt sich das anschließende Gerichtsverfahren, das die Hüter der sozialen Marktwirtschaft gegen ihn wegen des Angriffs auf die „Eckpfeiler unserer christlich-transatlantischen Werteordnung“ führen, zu einer Anklage gegen den neoliberalen Kapitalismus selbst. Punkt für Punkt entlarvt der Anwalt des Angeklagten die vorgebrachten „Argumente“ von Freiheit, Alternativlosigkeit und Natürlichkeit des Status quo als bloße Verschleierung des profitablen Interesses Weniger an der Zerstörung von Mensch und Natur.

Die satirisch-beißende Abrechnung mit der Dekadenz, Brutalität und Menschenwidrigkeit des neoliberal für normal Erklärten ist eine heilsam-erkenntnisreiche Angelegenheit. Sie schärft die Sinne für die befreiende Bedeutung des konfliktfreudigen Engagements für eine solidarische Gesellschaft und Alltagspraxis und könnte damit aktueller kaum sein.

Gegen die widrigen Bedingungen einer kommerziell gegängelten, jahrzehntelang strukturell unterfinanzierten und pandemiebedingt substanziell eingeschränkten Theater-Szene in Hamburg gelingt Christian Eldagsen in seinem ersten eigens geschaffenen Theaterstück ein im wahrsten Sinne des Wortes hochgradig vitalisierendes Stück Kultur, das die umkämpfte Gesellschaftlichkeit der menschlichen Existenz lebendig, begreifbar und veränderbar werden lässt und die Rezipient*innen geradewegs zu den „verfassungsmäßigen Waffen“ der Aufklärung ruft.

Mit dem Theater durch das Theater für mehr Theater!

 „Der politisch engagierte Stoff wird von der jungen Regisseurin Laura Jakschas so geschickt in die Zirkusarena verfrachtet, dass es eine Freude ist, den drei Darstellern dabei zuzusehen, wie sie sich blitzschnell in ihre Zweit- und Drittrollen verwandeln und sich dabei gegenseitig zu immer neuen Höchstformen anregen. Voll humorvoller Einfälle, liebevollem Witz, blitzschneller Verwandlungskunst und mit einem grandiosem Ensemble bekommt dieses inhaltlich gut recherchierte und politisch bitter nötige Stück mehr als nur eine zusätzliche Ebene und gewinnt dabei so eine spielerische Leichtigkeit, dass es nicht nur ein inhaltlich interessanter sondern auch höchst unterhaltsamer Abend wurde.“ (Birgit Schmalmack, hamburgtheater.de, 25.11.19)

„Die letzte Phase einer weltgeschichtlichen Gestalt ist ihre Komödie. Die Götter Griechenlands, die schon einmal tragisch zu Tode verwundet waren im gefesselten Prometheus des Äschylus, mußten noch einmal komisch sterben in den Gesprächen Lucians. Warum dieser Gang der Geschichte? Damit die Menschheit heiter von ihrer Vergangenheit scheide.“

Karl Marx, „Einleitung zur Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie“, MEW Bd. 1, S. 382, 1844.

Hier findet ihr den Flyer auch als pdf.