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Filmseminar: Die Widerständigen – also machen wir das weiter
Januar 22 @ 20:00 - 23:30
(Doku | Regie: Katrin Seybold/Ula Stöckl | D 2014 | 82 Min. | deu)
Historische Erfahrungen gewinnen zunehmend gegenwärtige Bedeutung. Zu diesen gehört unter anderem, dass das Erstarken faschistoider Kräfte – anders als es derzeit in der politisch-medialen Öffentlichkeit den Anschein erwecken soll – keine unabänderliche Tatsache ist. Vor 80 Jahren, am 27. Januar 1945, befreiten Angehörige der Roten Armee die Insassen des KZ Auschwitz. Dieses Ereignis leitete die Befreiung der Menschheit von den mehr als zwölf Jahre währenden, weltweit verübten Verbrechen des deutschen Faschismus ein. Am 29. Januar 1945 wurde in München-Stadelheim Hans Conrad Leipelt hingerichtet. Er hatte als Chemie-Student und Angehöriger eines weit verzweigten Widerstandskreises in Hamburg maßgeblich zum Gelingen der Befreiung beigetragen, indem er daran mitwirkte, die Flugblätter der Weißen Rose im gesamten Reichsgebiet zu verbreiten.
Zu den schädlichsten Mystifikationen des Faschismus gehört, dass der Widerstand gegen ihn die nahezu aussichtslose, beinahe natürlicherweise todbringende, entsagungsreiche Märtyrer-Tat einiger weniger Ausnahme-Gestalten gewesen sei. Dabei werden nicht nur die handelnden Persönlichkeiten in ihren widerspruchsreichen Entwicklungsgängen, Beweggründen, Absichten und Aneignungspfaden unterschlagen, sondern auch die tief im humanistischen Erbe der Menschheit wurzelnden Quellen ihrer Handlungsweise, ihre über das Bestehende hinausgehende Zwecksetzung sowie der sinnstiftende, befreiende Charakter ihres Wirkens selbst, das in seinem menschlichen Wesensgehalt tendenziell jedem zur Verfügung steht. Schon der Begriff des „Widerstands“ unterliegt eigentlich einer Fehldeutung von Ursache und Wirkung: zutreffender wäre, den Faschismus als organisierten „Widerstand“ gegen die notwendig zu verwirklichende Humanisierung der globalen Zivilisationsentwicklung zu bezeichnen.
Das herausragend-aufklärerische Verdienst der 2015 veröffentlichten Dokumentation von Ula Stöckl über den Hamburger Zweig der „Weißen Rose“ besteht gerade darin, dieses Verhältnis vom Kopf auf die Füße zu stellen.
Anhand von umfangreichen persönlichen Interviewbefragungen der teilweise bereits über 90-jährigen Mitwirkenden, Freunden und Angehörigen des damaligen Widerstandskreises gelingt es ihr, ein lebendiges Bild davon entstehen zu lassen, was es bedeutet, wenn Menschen dazu kommen, Geschichte zu machen. Nicht unwesentlich für die Herausbildung des entsprechenden Engagements war die tiefe Verbundenheit der beteiligten Akteure mit den Ideen der Humanität und der Aufklärung, die sie über ihre spezifischen weltanschaulichen Akzente, sozialen Hintergründe und Erfahrungsniveaus hinweg als Gleichgesinnte erkennen ließ und einander nahebracht. Eine besondere Rolle spielte dabei die an der reformpädagogischen Lichtwark-Schule in Winterhude unterrichtende, kommunistisch orientierte Lehrerin Erna Stahl, die mit ihren Schüler:innen Lese-, Diskussions- und Tanzabende organisierte und so maßgeblich zur sympathetischen, gesellschaftskritischen Qualifizierung eines humanistischen Impetus bei vielen derjenigen beitrug, die später den Kreis der Hamburger Weißen Rose bildeten. Jenseits der Verbreitung umstürzlerischer Flugblätter bildete die so kultivierte Liebe zum Leben, die produktiv anteilnehmende Menschenfreundlichkeit und die genussreiche Entfaltung eines allseitig erfreulichen Daseins das entscheidende Movens, um mit der ganzen Persönlichkeit weit über den Tag hinaus jeder Inhumanität entschieden entgegenzutreten.
Der Film zeigt eindrucksvoll, inwiefern eine so entwickelte und praktizierte Grundhaltung bis ins höchste Alter verallgemeinerungswürdig fortwirkt. So weitet er zugleich fundamental den Blick dafür, was persönlich wie gattungsgeschichtlich dem Menschen möglich ist. Wer lacht, hat keine Angst vor dem Teufel. Die Barbarei ist bezwingbar. Die Welt lässt sich nach Maßgabe der Schönheit gestalten. Der Freude dieses Gelingens sind keine Grenzen gesetzt. Jeder Beginn macht Sinn. Die Geschichte ist ein unerschöpflicher Quell aussichtsreichen Lernens.
International solidarisch – Schluss mit Austerität!
„Die Möglichkeit ist nicht die Wirklichkeit, doch auch sie ist eine Wirklichkeit: daß der Mensch eine Sache tun oder lassen kann, hat seine Bedeutung, um zu bewerten, was wirklich getan wird. Möglichkeit bedeutet >Freiheit<. Das Maß der Freiheit geht in den Begriff des Menschen ein. Daß es objektive Möglichkeiten gibt, nicht Hungers zu sterben, und daß dabei Hungers gestorben wird, hat anscheinend seine Bedeutung.“
Antonio Gramsci, „Gefängnishefte“, Heft 10/II, §48, 1932-35.