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Filmseminar: Bambule
8. September 2021 @ 20:00 - 23:00
(Spielfilm | Regie: Eberhard Itzenplitz | D 1970 | 90 Min. | deu)
Voraussichtlich wieder als Freiluftkino vor dem Philturm, Beginn um 20 Uhr
Nicht selten ist der Umgang mit marginalisierten Gruppen ein untrüglicher Indikator für den Zivilisiertheitsgrad einer Gesellschaft insgesamt. Für Deutschland gilt das insbesondere hinsichtlich der Zustände in den Einrichtungen der Fürsorgeerziehung bzw. – wie es heute heißt – der Kinder- und Jugendhilfe.
Im Zeitraum von 2008 bis 2016 stieg die Zahl der in stationären Einrichtungen betreuten Kinder und Jugendlichen um 63% auf 95.582. Aufgrund der Schuldenbremsen-bedingt prekären finanziellen und personellen Ausstattung alternativer Wohnformen und Unterstützungsangebote nimmt seitdem auch die Zahl geschlossener Unterbringungen wieder zu. Für ein reiches Industrieland, das sich selbst zudem gern als demokratisch, tolerant, modern und aufgeklärt bezeichnet, ein absolutes Armutszeugnis.
Seit ihrer Entstehung sind Inhalt und gesellschaftliche Funktion der Heimerziehung umkämpft. Gegen die insbesondere in den 1920er-Jahren erstarkenden, reformpädagogischen Ansätze, die ein wesentliches Gewicht auf die sozialkritisch-integrative Bildung und Entfaltung der Persönlichkeiten vernachlässigter Kinder und Jugendlicher legten, setzte sich spätestens mit dem Faschismus die verwertungskonforme Disziplinierung, Schikanierung und Malträtierung der als „ewige Delinquenten“ abgestempelten, jungen Menschen als bestimmende Praxis in deutschen Heimen durch. Erst die Heimkampagne im Zuge der 1968er-Bewegung machte die dort herrschenden unmenschlichen Zustände öffentlich und bewirkte wichtige Liberalisierungen und sozialpädagogische Reformen.
Das fiktive, aber an reale Erfahrungen angelehnte Fernsehspiel „Bambule“, zu dem Ulrike Meinhof (Journalistin und späteres Mitglied der RAF) das Drehbuch schrieb und für das Günter Gaus (damals Programmdirektor des SWR) Dreherlaubnisse in Berliner Heimen erwirkte, wurde zum Pionierwerk dieser Kampagne – obgleich die ARD seine Ausstrahlung bis 1994 verweigerte.
Gezeigt wird ein typischer Tag im „Lindenhof“, einem West-Berliner Heim für „schwer erziehbare“ Mädchen, aus der Sicht seiner Bewohnerinnen. Er beginnt mit einem scheiternden Fluchtversuch zweier Mädchen. Während Irene im zweiten Versuch entkommt und sich nun mit dem prekären Leben draußen rumschlagen muss (keine sichere Unterkunft, allgegenwärtiges Misstrauen und Sozialkontrolle, als Job bleibt nur Anschaffen gehen), landet Monika in der Arrestzelle, wo sie immerhin der halbwegs aufgeklärten Sozialarbeiterin Frau Lack ihre Geschichte erzählen kann. Ihr droht jedoch die Abschiebung ins noch autoritärere Kloster. Die renitente Iv hingegen lehnt sich ständig gegen die sinnlosen Maßregelungen und Ungerechtigkeiten im Heim auf, dringt aber bei niemandem durch und zettelt verzweifelt einen Aufruhr („Bambule“) an. Die unterschiedlichen Wege des Widerstands scheitern, weil die Entfaltung persönlich spezifischer Interessen und Neigungen im rigiden System schlicht nicht gewollt ist. Iv und Irene ziehen jedoch in der Arrestzelle eine erkenntnisreiche Bilanz: wer sich anpasst, geht kaputt. Aber wer widersteht, muss wissen, was er will. Nur dann kann man Solidarität schaffen und andere überzeugen.
Dieses „Wofür“ mag – allemal heute und durch unsereins – so schwer gar nicht zu bilden sein: eine solidarische Gesellschaft, in der Arbeit, Bildung, Kultur und sozialer Alltag Allen gleichermaßen zur lebendigen Entfaltung ihrer vollen, menschlichen Schaffenskraft gereichen, ist längst möglich. So wächst die Persönlichkeit mit ihrer gesellschaftlichen Bedeutung. Ein:e jede:r ist gefragt.
Darum jetzt erst recht: International solidarisch: Schluss mit Austerität!
Hinweis: Der letztes Jahr gebildete Hamburger Sozialratschlag kämpft für die Ausfinanzierung der sozialen Arbeit und freut sich über jede Unterstützung: https://schluss-mit-austeritaet.de/forderungspapier-unterstuetzen#petitionsanker
„Me-Ti sagte: Erst wenn die Gleichheit der Bedingungen geschaffen ist, kann von Ungleichheit gesprochen werden. Erst wenn die Füße aller gleich hoch stehen, kann entschieden werden, wer höher ragt als andere.“
Bertolt Brecht, „Me-Ti. Buch der Wendungen“, entstanden im Exil der 1930er-Jahre.
Hier findet ihr den Flyer auch als pdf.