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O Processo
17. Juli 2019 @ 21:00 - 23:30
(Doku | Regie: M. Ramos | Brasilien 2018 | 137 Min. | OmU)
Brasilien, 2016: Dilma Rousseff von der PT (Partei der Arbeiter), erste gewählte Frau im Präsidentenamt des 208 Mio.-Einwohner-Landes, wie ihr Vorgänger Lula Überlebende der Folter durch die Militärdiktatur (1964-1985), sieht sich mit einem Amtsenthebungsverfahren konfrontiert. Wegen angeblicher Verstöße gegen das Haushaltsrecht. Es ist ein langfristig betriebener, parlamentarisch-institutionell inszenierter Putsch gegen die 13-jährige Politik der sozialen Transformation, die die PT-Regierungen mit Unterstützung von Gewerkschaften, linken Parteien, sozialen Bewegungen, Künstlern und Intellektuellen vorangetrieben hatte. Initiiert wird das Verfahren von Abgeordneten, die fast alle im Rahmen der Lava-Jato-Prozesse unter akutem Korruptions-Verdacht stehen. Keiner der Vorwürfe gegen Dilma ist haltbar. Dennoch wird sie abgesetzt, weil die reaktionären Eliten in Wirtschaft, Medien, Justiz, Militär, Polizei und Kirche mit allen Mitteln einen „Regime Change“ wollen.
Das „Vergehen“ der linken Regierungen seit 2003 ist in der Tat enorm: durch großangelegte Umverteilung, Milliarden-Programme zur Bekämpfung von Armut, Förderung von Bildung, Kultur, Gesundheitsversorgung und Wohnungsbau vor allem zugunsten der Armen und Besitzlosen, konsequenten Schutz der indigenen Bevölkerung, der Umwelt und der staatlichen Rohstoffressourcen und die Stärkung von Arbeitsrechten wurden Abermillionen Brasilianer*innen aus himmelschreiendem sozialen Elend, Recht- und Perspektivlosigkeit befreit. Massenhafte Beteiligung der Bevölkerung am demokratischen Prozess und ungeahnte wirtschaftliche Prosperität wurden so geschaffen. Ganze Bevölkerungsschichten eroberten sich ihre Stimme, ihr Selbstbewusstsein, ihre Würde, ihre Hoffnung auf ein besseres Leben und die Souveränität über ihr eigenes Schicksal unaufhaltsam zurück. Eine beispielgebende Zukunftsoption für den ganzen Kontinent.
Mit dem Putsch sollte diese Aussicht gebrochen werden. Die Dekret-Politik des nachfolgenden Michel Temer beinhaltete nicht umsonst zuallererst die Einführung einer Schuldenbremse nach deutschem Vorbild. Der neoliberale Rollback und die rechtswidrige Verhaftung Lulas, als aussichtsreichstem Kandidat zur Präsidentschaftswahl 2018, ebneten dem Faschisten und Folter-Verherrlicher Jair Bolsonaro, mit dem die BRD/EU gerade ihr größtes Freihandelsabkommen abschließen will, den Weg ins oberste Staatsamt. In den vergangenen Wochen sagten seinem Regime der Angst 48 Millionen unbeugsamer Brasilianer*innen mit dem größten Generalstreik des Landes den Kampf an.
Der Film selbst ist historischer Sprengstoff: er dokumentiert unkommentiert die parlamentarischen Vorgänge des Putsches und wurde auf der Berlinale 2018 uraufgeführt. Seither lief er in keinem Kino. In Brasilien wurde die Aufführung des Films untersagt. Die Regisseurin verließ aus Furcht vor Verfolgung das Land und lebt seither im Untergrund. Er legt schlicht unabweisbar offen, wie unverfroren manch selbsternannter Demokrat im Zweifelsfall bereit ist, demokratische und rechtsstaatliche Prinzipien zu eliminieren, wenn die eigenen Pfründe, gesellschaftlicher Einfluss und Profitinteressen gefährdet sind.
Es ist ein beeindruckender, nachdrücklicher Aufruf zur internationalen Solidarität und zum engagierten Eintreten für Gerechtigkeit und eine grundlegende soziale Wende weltweit. Fora Bolsonaro! Lula livre! Schluss mit Austerität!
„Angenommen, die Demokratie ist ein Baum. Dann wäre ein Militärputsch eine Axt, die den Baum fällt und dadurch auch die Regierung und das Regime zu Fall bringt. Bei diesem Staatsstreich aber ist es anders. Hier ist es, als würde der Baum von Parasiten, von Pilzen befallen, die sämtliche Institutionen zerfressen. Was können wir dagegen unternehmen? Nun, wir müssen den demokratischen Spielraum erweitern, mehr Diskussionen, Debatten, die Darlegung von Standpunkten befördern. Das beste Mittel im Kampf gegen diese Parasiten, das ist der Sauerstoff der Demokratie, der Kritik, der Kontroverse, der Positionierung, Differenzierung und öffentlichen Meinungsäußerung. Das ist das beste Instrument.“
Dilma Rousseff im Interview, unmittelbar nach ihrer Amtsenthebung, 2016.
Hier findet ihr den Flyer auch als pdf.