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Germinal
16. September 2020 @ 20:00 - 23:30
Spielfilm | Regie: Claude Berri, F/B/IT 1993 | 158 Min. | deu
Die Filmveranstaltung beginnt abweichend vom Flyer schon um 20 Uhr.
Germinal – der Monat des Keimens – bezeichnet im französischen Revolutionskalender den Zeitraum des Jahres, in dem die Saat aufzugehen beginnt. Émile Zolas gleichnamiger, 1885 veröffentlichter Roman bildete nicht nur literaturhistorisch einen wesentlichen Grundstein für die Epoche des sozialkritischen Naturalismus. Er ist zugleich ein beeindruckend aktuelles, ebenso realitätsgetreues wie prophetisches Dokument über die Entstehung und Herausbildung der Arbeiterbewegung in der modernen bürgerlichen Gesellschaft.
Zur Zeit der ersten größeren Krise des im Welthandel global expandierenden Industriekapitals heuert der wegen Aufsässigkeit jüngst entlassene Maschinist Etienne Lantier, verzweifelt nach jeder Art von Anstellung suchend, in einem nordfranzösischen Kohlebergwerk an. Die Familie Maheu, vom Großvater bis zum 11-jährigen Sohn Tag und Nacht in der Mine von Voreux schuftend, gewährt ihm Unterkunft. Die Minengesellschaft, ein Sinnbild der modernen Industrie, gehört einem unbekannten internationalen Trust und kontrolliert die gesamte Region, die fast ausschließlich aus Arbeiter*innen wie den Maheus besteht, deren rechtlose, ausgebeutete und elende Existenz gänzlich dem profitablen Betrieb der Gruben dient. Als die Gesellschaft aufgrund der Krise den kärglichen Lohn noch weiter reduzieren will, wachsen Unmut und Verzweiflung und Etienne beginnt, mithilfe des Kneipenwirts, der Kontakte zur gerade entstehenden Internationalen Arbeiterassoziation in London hat, eine Versorgungskasse zu organisieren. Gegen mangelnde Bildung, kulturelle Verrohung und die verbreiteten egoistischen Vorbehalte gelingt es ihm, die Arbeiter von der existenziellen Bedeutung der Solidarität und der Aussicht auf ein besseres, würdiges Leben zu überzeugen. Ein durch die Sparsucht der Gesellschaft verschuldetes Grubenunglück bringt das Fass zum Überlaufen und der Streik bricht los. Auch Erpressung, Spaltungsversuche und destruktive Machenschaften in den eigenen Reihen halten die um ihr Leben und eine bessere Zukunft Kämpfenden nicht auf. Die im gemeinsamen Aufbegehren neu gewonnene Hoffnung lässt sie über sich hinauswachsen. Im Bewusstsein ihrer solidarischen Stärke werden auch die Nachbarzechen lahmgelegt. Schließlich spielt jedoch die Gesellschaft ihre internationale Macht aus und setzt von bewaffneter Gendarmerie geschützte Streikbrecher aus dem Ausland ein. Der Streik endet im Desaster: die Löhne werden gekürzt und nach einem anarchistischen Sabotageakt hat die halbe Familie Maheu ihr Leben verloren. Die Erkenntnisse und Lehren des Aufstandes jedoch sind unauslöschlich als Saat in das Bewusstsein der Nachfahren eingegangen. Eine neue Zeit des Keimens ist unvermeidbar im weiteren Gang der Entwicklung.
Die trotz Kürzungen recht werkgetreue, sehr gelungene Adaption von Claude Berri, der den Film seinem Vater, einem aus Polen emigrierten, jüdischen Kommunisten widmete, darf insofern auch als Kommentar zum 1990 mit der globalen Erosion sozialistischer Perspektiven ausgerufenen „Ende der Geschichte“ verstanden werden.
So mag die Geschichte zeigen: Wie widrig die Bedingungen auch sein mögen – kein widerständiges Handeln für eine menschlichere Welt ist jemals aussichtsloser als das Hinnehmen der Welt, wie sie ist. Keine gestrige, heutige oder morgige Annehmlichkeit ist denkbar, die nicht Ergebnis von Kämpfen der Niedergehaltenen gegen die Profiteure ihrer Niedergehaltenheit wäre. Und: das solidarische Ringen um ein besseres Leben für Alle ist das gute Leben selbst.
Insofern erst Recht – International solidarisch: Schluss mit Austerität!
„Mi-en-leh nannte viele Bedingungen für den Umsturz. Aber er wußte keine Zeit, wo nicht an ihm zu arbeiten war.“
Bertolt Brecht, „Me-Ti. Buch der Wendungen“, entstanden im Exil der 1930er Jahre.
Der Flyer findet ihr hier auch als pdf.