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Filmseminar: Waltz with Bashir
17. August 2022 @ 21:00 - 23:30
(Comicfilm | Regie: A. Folman | ISR 2008 | 87 Min. | deu)
Der Krieg ist die hässlichste Form der Negation menschlicher Entwicklung. Das wird nicht zuletzt an den psychomentalen Deformationen deutlich, die er bei jenen hinterlässt, die dafür bezahlt und herangezogen werden, ihn zu führen, in ihm zu töten und sich in ihm töten zu lassen – den Soldaten.
Im Juni 1982 begann Israel den ersten seiner mittlerweile unzähligen völkerrechtswidrigen Angriffskriege gegen einen arabischen Nachbarstaat und marschierte im Libanon ein. Es war der grausame Versuch, mit militärischer Unterstützung der südlibanesischen Armee und der faschistoiden Milizen der christlich-maronitischen Falangisten um Bashir Gemayel, den Libanon von palästinensisch-syrischem Einfluss zu „säubern“ und ein rein proisraelisches Regime in dem seit Jahrzehnten unter schwierigsten Bedingungen notdürftig stabilisierten, multireligiösen Vielvölkerstaat zu installieren.
Der spätere Filmemacher Ari Folman war damals als 19-jähriger, zum Wehrdienst eingezogener Soldat an den israelischen Kampfhandlungen beteiligt. In dem animierten Film-Meisterwerk „Waltz with Bashir“ dokumentierte er 26 Jahre später den mühevollen, engagierten und mutigen Prozess der Aufarbeitung traumatisierender Kriegserfahrungen und der damit verbundenen Enttabuisierung der Kriegsverbrechen im Zusammenhang mit dem Massaker von Sabra und Schatila, an dem die israelische Armee beteiligt war und bei dem falangistische Milizionäre innerhalb von zwei Tagen über 3000 Bewohner:innen der beiden palästinensischen Flüchtlingslager im Herzen Beiruts ermordeten.
Ausgangspunkt dieser brisanten Wahrheitssuche Folmans ist ein Treffen mit seinem Freund Boaz. Dieser berichtet ihm von Traumsequenzen mit streunenden Hunden, die ihn verfolgen. Wie sich herausstellt, handelt es sich um Wachhunde. Jene Wachhunde palästinensischer Dörfer im Südlibanon, die Boaz beim Einmarsch der Armee auftragsgemäß töten musste, damit sie keinen Alarm schlügen, da man ihn für außer Stande hielt, auf Menschen zu schießen. Folman, der bis dahin alle Erinnerungen an den Einsatz verdrängt hatte, entwickelt daraufhin selbst bruchstückhafte Traumbilder von Leuchtraketen am Strand von Beirut, die – wenn auch zunächst unscharf bleibend – ihn nicht mehr loslassen. Über Hinweise eines befreundeten Psychologen beginnt er, die Bruchstücke zusammenzusetzen und zu deuten, besucht und befragt Beteiligte, die in den Bildern auftauchen und rekonstruiert auf diese Weise Schritt für Schritt die verdrängten Geschehnisse, bis zu den Tagen des Massakers. Von diesem allerdings will niemand irgendetwas Näheres wissen. Bis Folman zu einem ehemaligen Fernsehjournalisten vordringt, der in jenen Tagen vor Ort war und dessen Schilderungen ihn mit der vollen Dimension seiner eigenen Beihelferschaft und dem ganzen Ausmaß des verbrecherischen Krieges konfrontieren.
Der auch ästhetisch äußerst klug und sorgsam gestaltete Film stellt insofern nicht nur das tief beeindruckende Paradestück eines heilsamen, psychodynamischen Aufklärungsprozesses dar. Durch das wegweisende persönliche Beispiel zwingt er zugleich eine im tagtäglich verdrängten Dauerkriegszustand befindliche Gesellschaft dazu, sich ihrer allgegenwärtigen, historisch-konkreten Verantwortung für die Friedensbildung im Hier und Jetzt zu stellen.
Auf diese Weise lassen sich kollektiv und je persönlich weitreichende Erkenntnisse mit hohem Verallgemeinerungsgrad bilden.
Amnesie ist nicht gleichbedeutend mit Amnestie – ganz egal, wie viel gesellschaftlicher Verdrängungsaufwand auch betrieben werden mag. Begangene Taten lassen sich nicht ungeschehen machen. Das Verdrängte kehrt stets zurück. Sich insofern ein kritisches Bewusstsein der eigenen Geschichte und der daraus erwachsenden, spezifischen Bedeutung zur Schaffung von Frieden, Völkerfreundschaft und der nachhaltigen Überwindung jeglicher Form von Gewalt zu bilden, ist der erste und wichtigste Schritt auf dem Weg zur Heilung – im umfassendsten Sinne des Wortes. An diesem erfreulich-aufklärerischen Wirken kann und sollte Jede:r mittun.
Insofern: International solidarisch – Schluss mit Austerität!
„Auch der Einzelne hat seine Geschichte
Man weiß, mit welchem Nutzen die Nationen ihre Geschichte aufzeichnen. Den gleichen Nutzen hat auch der einzelne Mensch von der Aufzeichnung seiner Geschichte. Me-ti sagte: Jeder möge sein eigener Geschichtsschreiber sein, dann wird er sorgfältiger und anspruchsvoller leben.“
Bertolt Brecht, „Me-Ti. Buch der Wendungen“, entstanden im Exil der 1930er Jahre.