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Filmseminar: Sterne
1. November 2023 @ 20:00 - 23:30
(Spielfilm | Regie: K. Wolf | DDR/BUL 1959 | 92 Min. | deu)
Am 9. November jährt sich zum 85. Mal die sog. Reichspogromnacht. Sie bildete den ideologisch-propagandistischen Auftakt für den industriell organisierten Massenmord an über 6 Millionen Jüdinnen und Juden und den weltweiten Vernichtungsfeldzug des „Deutschen Reichs“. Welche Schlussfolgerungen aus dem singulären Menschheitsverbrechen des Holocaust wie auch aus der gelungenen Befreiung von Faschismus und Weltkrieg zu ziehen sind, ist bis heute umstritten.
Welche Konsequenzen erfordert das unbedingte „Nie wieder“? Worin besteht das notwendige „Wehret den Anfängen“? Wie gelingt widerständige Humanität im Angesicht tiefster Barbarei? Welche Bedeutung kommt dem Einzelnen zu für eine menschenwürdige Zivilisationsentwicklung? Gerade gegen den verdrehenden Missbrauch der deutschen Geschichte zur Legitimation einer gegenwärtigen, militärisch-expansiven Verteidigung globaler Ungleichheitsverhältnisse sind diese Fragen immer wieder neu relevant zu beantworten.
Einen besonders eindrucksvollen und wegweisenden Beitrag dazu liefert der Film „Sterne“ des jüdischen Kommunisten und DEFA-Regisseurs Konrad Wolf. Nach dem Drehbuch und den Erfahrungen des bulgarisch-jüdischen Widerstandskämpfers und Partisanen Angel Wagenstein entstanden, war er 1959 der erste deutsche Film, der das Schicksal der europäischen Jüd:innen und die deutsche Verantwortung für die Shoah auf der Leinwand thematisierte. Nicht ohne Grund versuchte die wiederaufgerüstete, renazifizierte BRD, seine Erstaufführung bei den internationalen Filmfestspielen in Cannes zu verhindern.
Die filmische Erzählung spielt sich während dreier Tage am Ende des Jahres 1943 in einer von deutschen Wehrmachtssoldaten besetzten, bulgarischen Kleinstadt ab. Der Unteroffizier Walter, ein ehemaliger Kunstmaler und Schöngeist, versieht seine Aufsichtspflichten über die örtliche KfZ-Werkstatt mehr schlecht als recht. Er hat sich einer lebensüberdrüssigen Gleichgültigkeit hingegeben, pflegt dabei jedoch einen verhältnismäßig jovialen Umgang mit den Bewohner:innen und träumt hin und wieder mit Kurt, seinem tumben, grobschlächtigen Vorgesetzten, vom Ende des fernab scheinenden Kriegs. Als jedoch ein ganzer Zug griechischer Jüd:innen in die Stadt gebracht wird, die für die Deportation nach Auschwitz bestimmt sind, beginnt die Fassade der Verdrängung in sich zusammenzubrechen. Die jüdische Lehrerin Ruth, die trotz des Elends und der drohenden Vernichtung um jede Hoffnung, jeden Anschein noch so geringer Menschlichkeit ringt, konfrontiert Walter jäh mit seiner tiefgreifenden Entmenschlichung, woraufhin dieser beginnt, das systematische Unrecht in Frage zu stellen, dessen ausführender Akteur er ist. Je stärker er genötigt wird, zu begreifen, dass der Mensch nicht per se schlecht oder gut ist, sondern es auf das eigene Tun wesentlich ankommt, desto offener deckt er die ihm neu zu Bewusstsein gelangenden Aktivitäten der im Dorf gleichfalls subversiv agierenden Partisanen. Um sich zu beweisen, dass er noch ein Mensch ist, will er wenigstens Ruth vor der Vernichtung retten. Jedoch reicht diese Form der Güte letztlich nicht aus gegen die Rohheit, zu der Krieg und faschistische Ideologie seinen „Kameraden“ Kurt gebracht haben. So verbleibt schließlich als Hoffnung auf eine Überwindung der Barbarei, die Beendigung des Krieges und die Perspektive einer humanen Entwicklung nur noch ein Aufstand der Partisanen.
Der mit ergreifender Feinsinnigkeit erzählte Film schafft dabei etwas Außergewöhnliches von akuter Relevanz: durch die Zeichnung der Charaktere als handelnde Subjekte auf „beiden Seiten“ – jenseits archaischer Täter-Opfer-Simplifikationen – ermöglicht er ohne jede Verharmlosung die rationale Einsicht in die tatsächliche Verantwortung, die eine:m Jede:n von uns aus der Geschichte zukommt. Jegliche Form von Gewalt, sozialer Ungleichheit und Menschenverachtung sind ursächlich zu überwinden. Der Mensch wird zum Menschen, indem er seine Lebensbedingungen bewusst mit Seinesgleichen zum Wohle Aller gestaltet. Dafür ist die kultivierte, solidarische Entfaltung einer in Freundschaft verbundenen Menschheit oberste Voraussetzung. Jeder erste Schritt ist dabei ein Gewinn für Alle. Es kommt auf jede:n an.
Darum: Brot, Frieden, Würde – jetzt! International solidarisch: Schluss mit Austerität.
„Immer frag: Wie lernen?
Auch den Schrecken sehend in den Augen derer, die wir geschätzt haben, lernen wir, sagte Me-ti.“
(Bertolt Brecht, „Me-Ti. Buch der Wendungen“, entstanden im Exil der 1930er Jahre.)
Der Ankündigungsflyer ist als PDF hier abrufbar: download
Gefördert durch die Hamburger Behörde für Arbeit, Gesundheit, Soziales, Familie und Integration