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Filmseminar: Schäuble – Macht und Ohnmacht
8. Mai 2019 @ 20:00 - 23:30
Schäuble – Macht und Ohnmacht, D 2015, Deutsch, 75 min
Die europäische Austeritätsdoktrin (kurz gefasst: kreditgestützte staatliche Investitionen = böse; Sozialkürzungen = gut; Bankenmacht = unantastbar) ist ein umfassender Anachronismus. Wirtschaftswissenschaftlich sind ihre Prämissen schon längst der Lüge überführt. Politisch ist sie weltweit diskreditiert: der IWF, die OECD, verschiedene Regierungen anderer Länder mahnen mehr Investitionen und höhere Löhne in Deutschland an. Wirtschaftspolitisch ist sie ein einziges Harakiri-Unternehmen: wer durch Lohnwettbewerb und rigide Ausgabenkürzungen seine Handelspartner in die Verschuldung zwingt, ruiniert sich über kurz oder lang auch den eigenen Absatzmarkt. Ganz zu schweigen von der Zerstörung von Leben, sozialen Perspektiven, demokratischen Prozessen, infrastrukturellen und kulturellen Entfaltungsmöglichkeiten und internationalen Beziehungen, die sie überall, wo sie exekutiert wird, anrichtet.
Warum wird sie dennoch hierzulande so dogmatisch verteidigt? Das Porträt von Wolfgang Schäuble, ihrem vehementesten politischen Verfechter auf europäischer Ebene, gibt darüber Aufschluss. Schon immer war die Verbindung von provinziell-bornierter Krämerseele, deutschem Untertanengeist und Weltmannssucht eine gefährliche Mixtur für die Geschichte des Kontinents. Man füge hinzu noch einen streng leistungsnormativen, schicksalsgläubigen Protestantismus, ausgeprägte Affinität zu Machtpolitik, unverblümte Korruptionsbereitschaft und eine tiefsitzende Misanthropie und fertig ist der Krautsalat.
Der Film dokumentiert Schäubles konservative Mentalität, indem er ihn auf seinen „Verhandlungsreisen“ als Finanzminister 2015 begleitet und interviewt, während dieser das erpresserische Diktat gegenüber der neu gewählten, linken Regierung Griechenlands, die für ein Ende der Kürzungsprogramme und eine sozial-progressive, solidarische Entwicklung Europas streitet, exekutiert. Statt die Banken zu regulieren und soziale und wirtschaftspolitische Reformen im Sinne des Allgemeinwohls zuzulassen, droht Schäuble mit dem „Grexit“, wenn Griechenland sich nicht den neoliberalen Geboten fügt. Rückblenden auf die Verbandelung der CDU mit dem Flick-Konzern (industrieller Großförderer und Profiteur des NS-Regimes), den deutschen „Einigungsvertrag“, das Attentat auf Schäuble in den 1990er-Jahren und die Verstrickung in die Kohl-Spendenaffäre (Schmiergelder von Rüstungskonzernen) Anfang 2000, runden das Bild eines hart arbeitenden Dieners der „Märkte“ ab.
Was der Film nicht zeigt: auch deren Macht ist nur eine geliehene. Sobald an sie nicht mehr geglaubt wird, ist sie dahin.
Ein solidarisches Europa – sinnvolle Arbeit, mehr Mitbestimmung und massiv steigende Löhne für Alle, sanktionsfreie Mindestsicherung und auskömmliche Renten, persönlichkeitsentfaltende Bildung in bedarfsgerecht ausgestatteten Kitas, Schulen und Hochschulen, menschenzugewandte, allen zugängliche medizinische Versorgung in Gesundheitseinrichtungen in öffentlicher Hand, aufklärerische Kultur in reichhaltig geförderten Museen, Theatern und Bücherhallen, komfortables, erschwingliches Wohnen für Alle, nachhaltige Mobilität, Energiegewinnung und öffentliche Infrastruktur, produktives, zukunftsfähiges Wirtschaften, ein kulturell erfreulicher Alltag und entwicklungsförderliche, friedliche internationale Beziehungen – all das ist längst möglich. Es liegt in unseren Händen: Machen wir Schluss mit der Austerität!
„Ein ehrlicher Deutscher ist Beamter und nicht Mensch – Mensch ist jeder. Vor einem Schalter stehen: das ist das deutsche Schicksal, Hinter dem Schalter sitzen: das ist das deutsche Ideal.“
Kurt Tucholsky, „Der Traum – ein Leben“, 1927.
Artikel zum Film: https://www.spiegel.de/wirtschaft/soziales/wolfgang-schaeuble-macht-und-ohnmacht-in-der-ard-maechtig-muerrisch-a-1048924.html
Hier findet ihr den Flyer auch als pdf.