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Filmseminar: Nelken für die Freiheit
27. Januar 2021 @ 18:00 - 22:00
(Spielfilm | Regie: M. de Medeiros | POR 2000 | 123 Min. | OmU)
Die Veranstaltung findet am Mittwoch, den 27. Januar 2021 statt und beginnt um 18 Uhr im Abaton Kino (Allende-Platz 3). Im Anschluss wird es wie immer Gelegenheit zur Diskussion geben. Das Filmseminar gegen Austerität wird als studentisches Seminar organisiert. Zur Teilnahme bitten wir um eine kurze Anmeldung per Mail an kontakt@schluss-mit-austeritaet.de.
In der Nacht des 25. April 1974 spielte der katholische Radiosender Renascença in ganz Portugal das von der Diktatur des Estado Novo verbotene Lied „Grândola, Vila Morena“. In dem Stück, 1964 in der jahrhundertealten Tradition des Liedguts der ausgebeuteten Landarbeiter des Alentejo verfasst, besingt der ebenfalls verbotene, antifaschistische Liedermacher Zeca Afonso die braungebrannte Stadt Grândola, in der Brüderlichkeit und Gleichheit herrschen, weil das Volk das Sagen hat. Der nächtliche Gesang bildete das verabredete Signal für die Soldaten der linken „Bewegung der Streitkräfte“ (Movimento das Forças Armadas/MFA) zum Aufstand gegen die 42 Jahre währende, faschistoide Terrorherrschaft. Weite Teile der portugiesischen Bevölkerung hatten die Botschaft des Liedes ebenfalls verstanden, denn als die Hauptmänner am frühen Morgen in Lissabon einrückten, um den Flughafen und die Kasernen, Ministerien, Rundfunk- und Fernsehsender der Diktatur zu besetzen, wurden sie von jubelnden Menschenmengen empfangen, die ihnen als Zeichen ihrer Solidarität rote Nelken in die Gewehrläufe steckten. Mit Ausnahme der Besetzung des Hauptquartiers der für ihre brutale Verfolgungs- und Folterpraxis berüchtigten Geheimpolizei PIDE, bei der vier Aufständische ermordet wurden, gelang die revolutionäre Beseitigung des unterdrückerischen Ordnungsstaates auf diese Weise ohne jede Gewalt.
Der alle Bereiche des portugiesischen Lebens durchtränkende Estado Novo („Neuer Staat“) war 1932 von einer autoritären Junta um António Salazar etabliert worden. Er hatte sich, gestützt von Kirche, Militärs, Großgrundbesitzern, gleichgeschalteter Presse, ausgebeuteten Kolonien und ausländischen Finanziers auf ein rigides ideologisches Konglomerat von Religiosität, Nationalismus, ständischem Paternalismus, Familiensinn, Eigentumsschutz und strikter Entpolitisierung des Alltags berufen und mit dem Verbot jeglicher organisierten Interessenvertretung in Parteien oder Gewerkschaften und der regressivsten Unterbindung von Bildung, Kultur und freier Pressetätigkeit die Bevölkerung so weit in ihrer sozialen, kulturellen und politischen Entfaltungsmöglichkeit eingeschränkt, dass bis in die 1960er Jahre hinein ca. ein Drittel der Portugiesen als Analphabeten galten. Diese Ordnung der Angst war mit dem Aufstand der MFA Geschichte.
Die „Bewegung der Streitkräfte“ hatte sich zu Beginn der 1970er Jahre vornehmlich aus jüngeren Gefreiten gebildet, die aus den Kolonialkriegen des Regimes in Angola, Mosambik und Guinea-Bissau desillusioniert, verzweifelt und traumatisiert zurückkehrten. Häufig zumindest etwas höher gebildet und offen für die Ideen der afrikanischen Befreiungsbewegungen und der klandestin agierenden sozialistischen Gruppen, mit denen sie so in Kontakt kamen, waren sie gewillt, den Krieg zu beenden und mutig genug, zu erkennen, dass eine Befreiung des Landes nur durch ihre Initiative gelingen konnte.
„Nelken für die Freiheit“ ist der erste Spielfilm, der die Geschehnisse im April 1974 nachzeichnet. Er verbindet dabei die historischen Ereignisse mit fiktiven Erzählsträngen, in denen das unbändige, streitbare und widerspruchsreiche Engagement der beteiligten Akteure auf typisierte Weise anschaulich gemacht und neu lebendig werden soll. Er gehört in Portugal zu den meistgesehenen Filmen überhaupt und ist – weitgehend ohne Romantisierung auskommend – ein eindrucksvolles Dokument des historischen Umbruchs.
Mit der Revolution hat sich Portugals Bevölkerung – trotz fortgesetzter NATO-Anbindung – nicht nur die Demokratisierung ihres Landes, die wahrscheinlich fortschrittlichste Verfassung der westlichen Welt und ungeahnte sozialstaatliche Errungenschaften inklusive massiver Hebung des allgemeinen Bildungs- und Kulturniveaus erkämpft. Sie hat auch den Grundstein gelegt für die Befreiung Spaniens und Griechenlands von deren Militärdiktaturen und einen nachhaltig wirksamen, alltäglichen Widerstandsgeist geschaffen, der das Land bis heute frei von neofaschistischen Umtrieben hält und zur europaweit beispielgebenden, fortschrittlichen Kraft gegen die so schädliche Austeritätspolitik macht. Bei den zahlreichen Manifestationen, die die von der Troika diktierten Kürzungsprogramme beendeten, erklang nicht umsonst häufig genug das Lied von der braungebrannten Stadt, Grândola. Ein Beispiel, von dem sich lernen lässt.
Hier und heute: International solidarisch – Schluss mit Austerität!
„In dir, oh Stadt,
ist es das Volk, das das Sagen hat.
In jeder Ecke, ein Freund
in jedem Gesicht, Gleichheit.
Grândola, braungebrannte Stadt,
Heimat der Brüderlichkeit.“
José „Zeca“ Afonso, „Grândola, Vila Morena“, 1964.
Hier findet ihr den Flyer auch als pdf.