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Filmseminar: La Sociale

5. Juli 2023 @ 21:00 - 23:30

(Doku | Regie: Gilles Peret | F 2016 | 84 Min. | OmU)

Beginn um 21 Uhr, aufgrund der Unwetterwarnung
im Anna-Siemsen-Hörsaal (Von-Melle-Park 8 ).


Soziale Verbesserungen fallen nicht vom Himmel. Jedes Element sozialstaatlicher Sicherung, jede Einrichtung der sozialen Daseinsvorsorge, jede noch so marginal erscheinende Hilfsmaßnahme ist das Ergebnis gesellschaftlicher Bewegung und des organisierten Zusammenwirkens der werktätigen Bevölkerung zur Verwirklichung ihrer grundlegenden Rechte und gemeinsamen Interessen im Kampf für ein menschenwürdiges Leben für Alle.

Dieses Bewusstsein neu zu schaffen, ist heute umso bedeutsamer, da im Zuge der militärischen „Verteidigungshysterie“ allerorten Verzicht gepredigt und mitunter gar die Fundamente der sozialen Nachkriegsordnung zugunsten noch ungehinderterer Kapitalgewinne in Frage gestellt werden sollen.

In Frankreich mobilisieren seit Monaten Gewerkschaften und soziale Bewegungen – mit Unterstützung von zeitweise 80% der Bevölkerung – gegen die per Präsidialdekret durchgesetzte Erhöhung des Renteneintrittsalters zu den größten Massenprotesten, die das nicht gerade streikunlustige Land je gesehen hat. Es geht dabei um erheblich mehr als die Rente: es geht um die akut, global und grundlegend neu zu entscheidende Frage, wer in wessen Interesse die weitere Gestaltung der gesellschaftlichen Entwicklung bestimmt.

Worauf sich in diesen Auseinandersetzungen gestützt werden kann, das illustriert eindrucksvoll die 2016 von Gilles Perret veröffentlichte Dokumentation „La Sociale“ über die umkämpfte Einführung, Durchsetzung und Entwicklung des französischen Systems der sozialen Sicherungen (Sécurité Sociale).

Die Grundlagen dafür wurden bereits im Widerstand gegen die faschistische Okkupation geschaffen. Der Nationalrat der Résistance (CNR), ein im Untergrund geschaffenes und tagendes Koordinationsorgan, bestehend aus kommunistischen, sozialdemokratischen, gewerkschaftlichen, bürgerlich- und christlich-humanistischen Widerstandsgruppen bis hin zu den nationalkonservativen Gaullisten im Exil, hatte sich am 15. März 1944 auf ein weitreichendes Aktionsprogramm geeinigt. Darin wurden nicht nur konzertierte Aufstandsaktionen beschlossen, sondern auch die Grundzüge der aufzubauenden Nachkriegsgesellschaft. Diese beinhalteten neben der Verstaatlichung der Energieversorgung, des Banken-, Transport- und Versicherungswesens, der Verankerung des Grundrechts auf Arbeit und anderem mehr auch die Schaffung eines sozialen Sicherungssystems, das Allen ein Leben in Würde garantieren sollte.

Entscheidender Akteur für die tatsächliche Verwirklichung dieses Systems war der von der Übergangsregierung De Gaulles zum Arbeitsminister berufene Kommunist und Gewerkschafter Ambroise Croizat. Innerhalb weniger Monate setzte er nicht nur fundamentale Errungenschaften wie die 40-Stunden-Woche, den bezahlten Urlaub, das Tarif- und betriebliche Mitbestimmungsrecht und bezahlte Überstunden durch, sondern schuf mit der einheitlichen Sozialkasse eine geradezu revolutionäre Institution des sozialen Fortschritts. Für alle Fälle „sozialer Risiken“ – Alter, Mutterschaft, Krankheit, Arbeitsunfälle und später auch Erwerbslosigkeit – wurden umfangreiche staatliche Sicherungsleistungen und –zahlungen garantiert, die dem Notleiden und der Angst davor ein Ende bereiten sollten. Entscheidend war dabei das Leitmotiv einer solidarischen Gesellschaft: „Jeder nach seinen Fähigkeiten, jedem nach seinen Bedürfnissen!“ Revolutionär war das Prinzip, dass die Werktätigen über ihre gewerkschaftlichen Vertreter mit ¾-Mehrheit die Verwaltung der über Lohnbeiträge von den Arbeitgebern mitfinanzierten Kasse maßgeblich bestimmen konnten.

Der Film zeigt anhand von Zeitzeugen und historischen Dokumenten jedoch nicht nur die enorme Reichweite dieser Errungenschaft, sondern auch, wie sehr sie vom neoliberalen Gift der sogenannten „Eigenverantwortung“ im späteren Verlauf zersetzt wurde. Zugleich wird jedoch im Vergleich zu damals besonders deutlich, welcher Anspruch an sozialer Daseinsvorsorge heute erst Recht angemessen und zu verwirklichen möglich ist. Und welch entscheidende Bedeutung dafür eine solidarisch organisierte, lernend und selbstbewusst für ihre Interessen eintretende Bevölkerung hat. Heute mehr denn je:

Brot, Frieden, Würde – jetzt! International solidarisch: Schluss mit Austerität.

„Wir, Schattenkämpfer, fordern die Einführung eines umfassenden Plans der sozialen Sicherheit, der allen Bürgern in allen Fällen, in denen sie nicht in der Lage sind, sich diese durch Arbeit zu verschaffen, eine Existenzgrundlage sichern soll – mit Verwaltung durch die Betroffenen und den Staat.“ „Les jours heureux“, Aktionsprogramm des Conseil National de la Résistance (CNR), 15. März 1944.

Den Flyer findet ihr hier auch als pdf. 

Details

Datum:
5. Juli 2023
Zeit:
21:00 - 23:30
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