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Filmseminar: Dr. Seltsam oder: Wie ich lernte, die Bombe zu lieben
13. April 2022 @ 20:00 - 23:30
(Spielfilm | Regie: Stanley Kubrick | USA 1964 | 93 Min. | deu.)
Russland die Inkarnation des Bösen und der Verbund des NATO-verteidigten Abendlands die Wiege holdester Unschuld, wo Frieden, Freiheit, Demokratie, Menschenrechte und Milch und Honig fließen? Dieses plump-ideologische, urzeitlich-primitive Feindbilddenken hat die Menschheit bereits mehrfach an den Rand der Auslöschung gebracht. Gerade in deutschen Landen sollte die Geschichte zweier ursächlich verbrochener Weltkriege und der brandgefährlichen Frontstellung im Kalten Krieg Besseres gelehrt haben. In Zeiten des mehr als 20-fachen nuklearen Overkills gibt es keine Alternative zu Entspannungspolitik, Diplomatie, ziviler Konfliktlösung, radikaler Abrüstung und kooperativer Entwicklung auf allen Ebenen.
Urheber dieser mühsam errungenen, zivilisationsgeschichtlichen Fundamental-Erkenntnis waren u.a. die Geschehnisse rund um die sog. Kuba-Krise im Jahre 1962. Nirgends ist sie – mit all ihren Voraussetzungen – künstlerisch so eingängig verdichtet wie in der beißenden Filmsatire Stanley Kubricks.
Der von antikommunistischen Wahnvorstellungen besessene Luftwaffengeneral Jack D. Ripper (angelehnt an den realen General Thomas S. Power) nutzt die in den paranoiden Abschreckungsplänen der USA für den atomaren Verteidigungsfall vorgesehenen Sonderbefehlsstrukturen und fingiert einen sowjetischen Angriff, um seinerseits der von ihm kommandierten Bomberstaffel den nuklearen Angriff auf ihre 32 Primärziele in Russland zu befehlen. Da der Notfallplan vorsieht, dass der Angriffsbefehl nur von Ripper selbst rückgängig gemacht werden kann, ist Präsident Muffley (in einer von drei Hauptrollen unnachahmlich: Peter Sellers) gezwungen, den Notfallkrisenstab einzuberufen, um einen Ausweg aus der drohenden Katastrophe zu beratschlagen. Während der draufgängerische und ebenso kriegsversessene General Turgidson (angelehnt an General Curtis E. LeMay) vorschlägt, die Chance zu nutzen und mit dem gesamten Waffenarsenal sofort nachzulegen, um den Sieg im absehbaren Atomkrieg davonzutragen, bestellt Muffley den sowjetischen Botschafter ein, um dem Kreml die Flugkoordinaten der Bomber mitzuteilen und ihnen den Abschuss der Maschinen zu ermöglichen, bevor eine erste Detonation die Weltvernichtungsmaschine der Sowjets auslösen kann. Nachdem es dem britischen Austauschoffizier Mandrake zudem gelungen ist, den Rückholcode zu entschlüsseln scheint die Krise zunächst abgewendet. Doch die nur angeschossene Maschine des texanischen Vorzeige-Patrioten Major Kong steuert, wild entschlossen, ihren Befehl auszuführen, unter dem Radar weiter auf das Abwurfziel zu und so kommt es zum legendären Auftritt des ehemaligen Nazi-Wissenschaftlers Dr. Seltsam (vgl. Wernher von Braun), der vor dem nicht schlecht staunenden Krisenstab seine akribisch ausgearbeiteten, völkischen Überlebenspläne für den Falle der Weltvernichtung präsentiert.
Schauspielerisch eindrucksvoller könnte kaum auf den Begriff gebracht werden, worauf die Logik der konfrontativen Eskalation hinausläuft. Heilsamer könnte die Dummheit des stetigen (nicht nur militärischen) Muskelmessens kaum verlacht werden. Eindringlicher könnte ein Plädoyer für die globale Verallgemeinerung der Vernunft kaum gestaltet sein.
Abrüsten – rhetorisch wie militärisch – ist das vordringlichste Gebot der Stunde! Die schier unbegrenzten Mittel materieller, soziokultureller und intellektueller Art, die so zur sinnvollen Anwendung freiwerden, ermöglichen längst eine dauerhaft zivile, grenzüberschreitend menschenwürdige, soziale Wohlentwicklung. Nur so können die Wunden der Vergangenheit beginnen, zu heilen. Die Menschheit hat es verdient, zu lernen.
International solidarisch – Schluss mit Austerität!
„Wenn wir es dahin bringen, daß die große Menge die Gegenwart versteht, so lassen die Völker sich nicht mehr von den Lohnschreibern der Aristokratie zu Haß und Krieg verhetzen, das große Völkerbündnis, die Heilige Allianz der Nationen, kommt zustande, wir brauchen aus wechselseitigem Mißtrauen keine stehenden Heere von vielen hunderttausend Mördern mehr zu füttern, wir benutzen zum Pflug ihre Schwerter und Rosse, und wir erlangen Friede und Wohlstand und Freiheit.“
Heinrich Heine, „Vorrede zu >Französische Zustände<“, 1832.