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Filmseminar: Die Würde der Ärmsten
August 7 @ 21:00 - 23:30
(Spielfilm | Regie: Fernando Solanas | ARG 2005 | 116 Min. | OmU)
Die Freiheit, wie sie heutzutage allerorten verteidigt werden soll, ist tödlich. Jenseits aller propagandistischen Beschönigungen bedeutet sie: ungehemmte Kapitalbegünstigung, Abbau von Sozialstaatlichkeit, privatisierte Daseinsbewältigung, sprich: ungezügelte Konkurrenz bis hin zum Krieg. Die Bevölkerungen des lateinamerikanischen Kontinents können davon ein schauerliches Lied singen. Die „westlichen Werte“ neoliberaler Prägung wurden ihnen während der 1970er- und 80er-Jahre zunächst in Form von Militärdiktaturen und später durch die Schuldenregimes des Internationalen Währungsfonds (IWF) unter demokratischen Vorzeichen solange verabreicht, bis um die Jahrtausendwende die übergroße Mehrzahl nachhaltig zu spüren bekam, dass man von wohlfeilen Worthülsen schlicht nicht leben kann. Es begann eine Phase wegweisender sozialer Kämpfe und Umwälzungen, die – heute erneut relevant – für alle Welt nachdrücklich belegen, dass Liberalismus und Autoritarismus einander bedingen und solidarische Emanzipation die notwendige, humane Alternative zu beidem darstellt.
Besonders eindrücklich und lehrreich dokumentiert sind diese Kämpfe in dem Film „Die Würde der Ärmsten“ des argentinischen Regisseurs Fernando Solanas.
Nachdem die Reichtümer des Landes in Folge zahlloser Privatisierungen an ausländische Gläubiger verhökert worden waren und diese in der Finanzkrise (2000) durch Kapitalflucht das Land in die Zahlungsunfähigkeit stürzten, begann sich ein Großteil der so der Massenverelendung anheimgestellten Bevölkerung in einem bis dahin ungeahnten Ausmaß neu zu organisieren im solidarischen Kampf um das Überleben und die Rückgewinnung von Würde, Souveränität und gesellschaftlicher Gestaltungsmacht.
Langezeitarbeitslose schlossen sich zusammen und besetzten die großen Handelsstraßen des Landes, um für das Recht auf Arbeit zu kämpfen. Prekarisierte und marginalisierte Bewohner:innen der Slums von Buenos Aires organisierten Volksküchen und Nachbarschaftshilfen, um gemeinsam Perspektiven aus dem niederschlagenden Elend zu schaffen. Krankenschwestern bestreikten gemeinsam mit Patient:innen die öffentlichen Krankenhäuser, um deren Mittelstreichungen rückgängig zu machen und organisierten spendenbasierte Selbsthilfe-Apotheken auf der Straße. Kleinbäuerinnen begannen, in konzertierten Aktionen durchs ganze Land zu ziehen und die planmäßigen Zwangsversteigerungen ihres Ackerlandes an große Geschäftsbanken zu stoppen. Entlassene Arbeiter:innen besetzten ihre aus Profitgründen stillgelegten Fabriken und brachten sie in Eigenregie wieder zur Produktion. Verarmte Angestellte, Kleingewerbetreibende, Intellektuelle und Künstler:innen unterstützten die Protestierenden mit Lebensmitteln und Infrastruktur. Gewerkschafter:innen mit langjähriger Kampferfahrung schufen organisatorische Zusammenhänge und qualifikatorische Substanz für politische Stadtteilversammlungen und die Herausbildung der notwendigen Solidarität in der Auseinandersetzung mit einer zunehmend gewalttätig auftretenden Staatsmacht.
Unter der millionenfach proklamierten Parole „Piquete y cacerola – la lucha es una sola“ (Straßenblockade und Kochtopfrasseln – der Kampf ist ein und derselbe) kulminierte die soziale Erhebung der verschiedentlichst Degradierten im Dezember 2001 im Sturz der Regierung De La Rúa – es wurde die vorerst letzte, die es wagte, die Krisenlasten zugunsten der Profite ihrer internationalen Gläubiger auf die Bevölkerung abzuwälzen. So ebnete die Bewegung den Weg für weitreichende soziale Reformen, eine teilweise Rückverstaatlichung öffentlicher Güter und vor allem für ein neues, kämpferisches Selbstbewusstsein derjenigen, die nichts zu verkaufen haben als ihre Ware Arbeitskraft.
Der Film porträtiert äußerst bewegend und lebensnah einzelne, beispielgebende Protagonist:innen jenes tiefgreifenden gesellschaftlichen Umwälzungsprozesses. Er zeigt insofern nachhaltig aktuell, welch grundlegend zivilisatorisches Befreiungspotenzial darin liegt, wenn jene, die im allgemeinen Marktgebrüll zum Verstummen gebracht sein sollen, konzertiert ihre Stimme erheben.
Ein filmischer Weckruf an die Verdammten dieser Erde. Solidarische Entfaltung kennt keine Grenzen. Alles zu werden, strömt zuhauf.
Brot, Frieden, Würde – jetzt! International solidarisch: Schluss mit Austerität.
„Hungernder, wer wird dich speisen?
Willst du dir ein Brot abschneiden
Komm zu uns, die Hunger leiden
Laß uns dir die Wege weisen:
Hungernde werden dich speisen.
Keiner oder alle. Alles oder nichts.“
Bertolt Brecht, „Keiner oder Alle“, Svendborger Gedichte, 1939.