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Filmseminar: Die Mutter

22. Februar 2023 @ 20:00 - 23:30

Eine Theateraufzeichnung des Stücks von Bertolt Brecht nach Manfred Wekwerth (DDR, 1958)
(Theateraufnahme | Regie: M. Wekwerth/H. Bremer | DDR 1958 | 150 Min. | deu)

– Beginn ab 20 Uhr –


Ein weit verbreiteter – und für gewisse herrschende Schichten der bürgerlichen Gesellschaft sehr nützlicher – Irrtum besteht in der Auffassung, der Einzelne habe keinerlei Einfluss auf die großen Linien der geschichtlichen Entwicklung. Sehr nützlich ist die Verbreitung dieses Irrtums für die Herrschenden deswegen, weil mit ihm die menschengemachten und überwindbaren Ursachen von Entfremdung, Hunger, Elend und Krieg verschleiert und die Herrschenden selbst als deren Urheber den Anschein von Naturgewalten erhalten.

Ein genauerer Blick auf den Gang der Geschichte und insbesondere ihre großen Umwälzungen lehrt das aussichtsbildende Gegenteil. Dies ist der revolutionär-aufklärerische Gehalt des 1932 uraufgeführten Lehrstücks „Die Mutter“ von Bertolt Brecht – verfasst nach dem gleichnamigen Roman Maxim Gorkis von 1907 – über die zähen, wechselvollen und unermüdlichen Kämpfe der russischen Arbeiterschaft für Brot, Frieden und eine menschenwürdige Gesellschaft ohne Ausbeutung, die 1917 mit der Oktoberrevolution im Sturz des Zarenregimes, der Beendigung des Ersten Weltkriegs und der grundlegenden Umwandlung von Wirtschaft, Staat und Zivilgesellschaft im Interesse der Werktätigen mündeten.

Im Zentrum des Stücks steht Pelagea Wlassowa, Witwe eines Arbeiters und Mutter eines Arbeiters aus Twer. Da ihrem Sohn Pawel der Lohn gekürzt wurde, kann sie ihm keine Suppe mehr auf den Tisch stellen. Sie missbilligt die subversive Tätigkeit ihres Sohnes, der mit einer Gruppe von Arbeitern gegen die Lohnkürzung streiken will. Als die Polizei den Unruhestiftern auf die Schliche kommt, entscheidet sie sich, um ihren Sohn zu schützen, die Flugblätter der Gruppe selbst in der Fabrik zu verteilen und begegnet so den Repressalien, die jene erwarten, die sich nicht in das verordnete Unrecht fügen. Sie will verstehen, warum Fabrikbesitzer und Polizei so brutal gegen die Arbeiter vorgehen und lässt sich erklären, was im Flugblatt stand und was es mit dem Streik auf sich hat. Ihr Sinn für Gerechtigkeit und ihr unbändiger Wissensdrang lassen sie Schritt für Schritt zur Parteigängerin für die Sache der niedergehaltenen Arbeiter:innen werden. Sie begleitet sie zur Mai-Demonstration und übernimmt die rote Fahne von Smilgin, als dieser von der Polizei niedergeschossen wird. Ihr Kampf um Gerechtigkeit wird zum Sinnbild des Kampfes der Unterdrückten und Entrechteten überhaupt. Sie lernt Lesen und Schreiben, verbreitet die neugewonnenen Einsichten über die Notwendigkeit des Wirkens für andere gesellschaftliche Zustände unter Ihresgleichen und agitiert – noch in Trauer um  ihren Sohn, der der zaristischen Verfolgung zum Opfer fällt – umso findiger, vehementer und überzeugter gegen den heraufziehenden großen Krieg. Unter größter Gefahr, mit einer geschwächten, wegen „Vaterlandsverrat“ verbotenen Partei, weitestgehend isoliert, entfaltet die zunächst aussichtslos erscheinende Aufklärungsarbeit letztlich dennoch ihre Wirksamkeit. Sie gründet sich auf eine fundamentale Einsicht in das Wesen dieses Krieges: er ist ein von den Herrschenden gewolltes, gegenseitiges Niedermetzeln der Beherrschten untereinander, um deren grenzenüberschreitende Vereinigung zur gemeinsamen Befreiung von ihren jeweiligen Herrschenden zu verhindern. Der Rest ist Geschichte – von atemberaubender Aktualität!

Dieses Meisterwerk des epischen Theaters ist belehrend im besten Sinne des Wortes. Es vermittelt künstlerisch anspruchsvoll, mit schlichtem Ausdruck für alle begreiflich jene tiefgreifenden Erkenntnisse, die nötig sind, damit der Mensch – persönlich wie auch als Gattungswesen – seinen Geschichtsprozess bewusst gestalten kann und im Verbund mit Seinesgleichen, frei von Herrschaft, Herr über sein gemeinsames Schicksal werde.

Es ist insofern zugleich ein Lehrstück über die Persönlichkeit, die in jeder Lebenslage mit der bewussten Wahrnehmung ihrer historischen Bedeutung (über sich hinaus) zu wachsen vermag.

Die kongenial nach Brechts Intentionen gestaltete Aufführung des Berliner Ensembles bringt durch grandioses Schauspiel (u.a. Helene Weigel), ein sprechendes Bühnenbild (u.a. von John Heartfield) und die musikalische Intonation (Hanns Eisler) der eigenständig wirkungsreichen, lyrisch-deutenden Einschübe die gesamte Erkenntnisfülle des Stückes szenisch zur Anschauung.

„Wer seine Lage erkannt hat, wie soll der aufzuhalten sein.“

Darum: Brot, Frieden, Würde – jetzt! International solidarisch: Schluss mit Austerität.

Fruchtlos arbeitet ihr und scheut die Mühe nicht
Zu ersetzen das Unersetzbare
Und einzuholen das nicht Einzuholende.
Wenn die Kopeke fehlt, ist keine Arbeit genug.
Über das Fleisch, das euch in der Küche fehlt
Wird nicht in der Küche entschieden.“
Bertolt Brecht, „Das Lied von der Krähe“ in: „Die Mutter“, 1932.

Den Flyer findet ihr hier auch als pdf.

Details

Datum:
22. Februar 2023
Zeit:
20:00 - 23:30
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