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Filmseminar: Der nackte Mann auf dem Sportplatz
Oktober 2 @ 20:00 - 23:30
(Spielfilm | Regie: Konrad Wolf | DDR 1974 | 101 Min. | deu)
Wir freuen uns, dass Günter Agde, seines Zeichens Filmhistoriker, Schauspieldramaturg und Publizist für die Einführung in den Film und die anschließende Diskussion nach Hamburg kommt.
Was spricht eigentlich gegen den Sozialismus? Glaubt man den offiziellen Verlautbarungen zu den Feierlichkeiten am 3. Oktober, dem „Tag der deutschen Einheit“, so lautet die ebenso simple wie ahistorische Antwort stets: Alles. Mit der pauschalen Abqualifizierung der DDR als „Unrechtsstaat“ werden nicht nur die immensen Hervorbringungen einer Gesellschaft geleugnet, die sich als Lehre aus Faschismus und Weltkrieg den Prinzipien des Friedens, der sozialen Gleichheit und der Freundschaft zwischen den Völkern verpflichtet sah, die die Wirtschaft konsequent dem Wohle der Allgemeinheit dienstbar zu machen trachtete und die mit dem garantierten Recht auf Arbeit, Wohnen, soziale Sicherheit, Bildung, Kultur und Gesundheit die menschliche Entfaltung zum entscheidenden Maßstab ihrer Entwicklung erhob. Für nichtig erklärt werden sollen ebenso die Erbringungen und Erfahrungen all Jener, die in dieser Gesellschaft lebten und arbeiteten und damit ebenso die Tatsache, dass der 1990 eingeläutete „Siegeszug“ der „freien Marktwirtschaft“ die Welt insgesamt nicht friedvoller, gerechter, aufgeklärter, demokratischer oder kulturell erfreulicher gemacht hat. Wer diese Geschichtsleugnungen bedenkenlos übernimmt, muss sich nicht wundern, warum es einer faschistoiden Partei noch immer gelingt, sich als einzig denkbare „Alternative“ für Deutschland zu inszenieren.
Höchste Zeit also, einen deutlich wirklichkeitsnäheren Eindruck von den Qualitäten und Herausforderungen der sozialistischen Entwicklung in der DDR zu gewinnen.
Kaum ein Werk ist dazu besser geeignet, als die 1974 verfertigte, gerade in ihrer Feinsinnigkeit besonders überzeugend gestaltete Filmsatire „Der nackte Mann auf dem Sportplatz“ von Konrad Wolf.
Die in außergewöhnlich leisen Tönen episodenhaft geschilderte Arbeit des Bildhauers Kemmel spiegelt dabei nahezu allegorisch die immensen Herausforderungen bei der Herausbildung einer grundlegend neuen, solidarischen Gesellschaft (allzumal nach Faschismus und Weltkrieg). Kemmel hadert mit seiner Kunst, denn sie trifft bei jenen, die er erreichen und bewegen will, auf wenig Verständnis. Nur Wenige scheinen über die Mühen des Alltags einen besonderen Wert in der ästhetisch vergegenständlichten Reflexion gesellschaftlicher Widersprüche zu entdecken. Die Parteileitung wiederum stößt sich an seinem persönlichen Ausdruck, der ihr zu wenig Optimismus zu vermitteln scheint. In diesem Spannungsverhältnis lässt sich Kemmel vom Fussballverein seines Heimatdorfes mit der Verfertigung einer Skulptur für den neuen Sportplatz beauftragen. Dafür braucht er ein Modell und künstlerische Inspiration. Anhand dieser Konstellation werden die gestalterisch aufzuhebenden Widersprüche zu Bewusstsein gebracht: trotz enormer sozialer Fortschritte haben sich Biedersinn und althergebrachte Mentalitäten (insbesondere auf dem Land) nicht einfach in Luft aufgelöst; die teilweise recht schematische Linie der Partei ist darauf keine hinreichende Antwort; die Arbeiterschaft muss lernen, auch künstlerisch-intellektuelle Tätigkeit als Arbeit zu begreifen; die weltflüchtige Abgehobenheit mancher „Kunstschaffender“ ist dabei wenig hilfreich; der engagierte Künstler als Mensch, der eine neue, bessere Gesellschaft schaffen will, braucht dafür auch neue Ausdrucksmittel. Gerade weil sich der Bildhauer Kemmel dieser Widersprüche annimmt, gelingt ihm letztendlich mit dem „nackten Mann auf dem Sportplatz“ die beispielhafte Herausbildung des „neuen Menschen“.
Gerade in der besonders unscheinbaren Reflexion grundlegendster Fragen der gesellschaftlichen Entwicklung, auf höchstem Niveau allgemein zugänglich zur Disposition gestellt, trägt der wohl kritischste und zugleich heiterste Film von Konrad Wolf, seines Zeichens Präsident der Akademie der Künste der DDR, in unvergleichlicher Weise dazu bei, ein Verständnis für die besonderen Qualitäten einer Gesellschaft zu entwickeln, in der der Mensch dem Menschen ein Freund sein kann.
So gesehen ist die Eingangsfrage umgekehrt zu stellen: was spricht eigentlich noch für den Kapitalismus? Eine bessere Welt ist jedenfalls erkennbar möglich und nötig. Der 8. Mai wäre in diesem Sinne auch ein deutlich geeigneterer „Nationalfeiertag“ als der 3. Oktober.
Brot, Frieden, Würde – jetzt! International solidarisch: Schluss mit Austerität.
„Der Sozialismus beweist uns, wo man ihn in neuester Zeit Abschaffte, seine Unentbehrlichkeit.“
Peter Hacks, „Couplets“ aus: „Jetztzeit“, 1998.