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Filmseminar: Der Besuch der alten Dame
Dezember 11 @ 20:00 - 23:30
(Spielfilm | Regie: Ludwig Cremer | BRD 1959 | 115 Min. | deu)
Für die Einführung zu Beginn und die anschließende Diskussion können wir dieses Mal den Literaturwissenschaftler und Publizisten Kai Köhler ankündigen.
Geld regiert die Welt. Je offenkundiger diese verhängnisvolle Tatsache im Zusammenhang mit den globalen Krisenerscheinungen (Kriege, soziale Ungleichheit, rücksichtslose Ausbeutung von Mensch und Natur) zu Tage tritt, umso mehr Aufwand wird dafür betrieben, ihn zu verschleiern. Da nur wenige Menschen spontane Bereitschaft an den Tag legen, die Börsenwerte von internationalen Großbanken, Investmentfonds, Versicherungsgesellschaften und Rüstungskonzernen zu verteidigen, werden an ihre Stelle allgemeine Werte wie Freiheit, Demokratie, Wohlstand oder gar Frieden gesetzt. Diese Verlogenheit entspricht dem Charakter des Geldes innerhalb der kapitalistischen Gesellschaft selbst, die auf ihm fußt. Geld ist nicht einfach ein notwendiges Mittel zum Austausch von Waren, Gütern und Dienstleistungen, sondern die vertraglich abgesicherte Berechtigung zur Aneignung der Arbeitskraft anderer. So kommt es auch, dass die sinnstiftende Verwirklichung humaner Zwecke nach Maßgabe des Allgemeinwohls weder durch Geld zu ersetzen noch mit Geld zu kaufen ist. Sie ist gegen die Macht des großen Geldes hervorzubringen.
Wenige literarische Werke bringen diese Zusammenhänge so klug und gewitzt zur Anschauung, wie die 1956 von Friedrich Dürrenmatt verfasste, tragikomische Satire „Der Besuch der alten Dame“. Kongenial verfilmt von Ludwig Cremer verhandelt das ursprünglich „Komödie der Hochkonjunktur“ betitelte Stück nicht nur die Rolle der Marshallplan-Milliarden bei der restaurativen Wiederherstellung nazistischen Ungeists im Westdeutschland der Nachkriegszeit, sondern beleuchtet auch, wie unbescholtene Menschen sich dazu verführen lassen, das mitzumachen bzw. wie das zu ändern ist.
Handlungsort ist die einst weltberühmte, inzwischen verarmte und bedeutungslos gewordene, fiktive Kleinstadt Güllen. Deren betuliches Alltagsleben wandelt sich schlagartig: Die einst von der Dorfgemeinschaft verstoßene, inzwischen durch Heirat zur Multimilliardärin avancierte Claire Zachanassian verbindet ihre Heimkehr mit einem unmoralischen Angebot: Eine Milliarde will sie der Stadt für den Wiederaufbau stiften, wenn jemand sich dazu bereitfindet, den Krämer Alfred Ill zu töten, der sie in Jugendjahren mit einem unehelichen Kind sitzen ließ und per Gerichtsverfahren zur Unperson machte. In ihrer hochehrwürdig-demokratischen Gewissenhaftigkeit weisen die Bewohner:innen das Angebot scharf zurück und erklären Ill ihre Solidarität. Doch mit zunehmender Dauer bekommt die zivilisierte Fassade immer mehr Risse. Allein die anbetungswürdige Erscheinung der Macht des Reichtums genügt, um die sittlichen Honoratioren und Bewohner:innen der Stadt schrittweise zu korrumpieren. Selbst die immer offenkundiger werdenden Verfallsmerkmale der skrupellosen Geschäftemacherin werden ignoriert und schöngebetet, bis schließlich auch der letzte Anflug schambehafteten Anstands verfliegt und in einem Schauprozess der geläuterte Krämer „im Namen der Gerechtigkeit“ kollektiv zum Tode verurteilt und gehenkt wird.
Autor und Film weisen diesen Vorgängen jedoch keine Spur von Zwangsläufigkeit zu. Gerade durch die satirisch-kritische, humoreske Darstellung des Wesens hinter den Erscheinungen wird der tatsächliche Wert der Aufklärung, der Solidarität und der engagierten Humanität für die Überwindung des strukturell unmenschlichen, kapitalvermittelten Herrschaftsverhältnisses erkennbar. So dringt heiterer Ernst zu nachhaltig handlungsleitenden Einsichten.
Freiheit, Demokratie, Rechtsstaatlichkeit, soziale Wohlentwicklung und Frieden sind Angelegenheiten der kollektiven Gestaltung humaner Gesellschaftlichkeit durch die Vielen. Der Mensch wächst mit den höheren Zwecken seiner allseitigen Emanzipation. Diesem Anfang wohnt ein besonderer Zauber inne. Ein:e Jede:r hat stets die Wahl. Die Welt lässt sich erfreulich verändern.
International solidarisch – Schluss mit Austerität!
„Claire Zachanassian: Die Menschlichkeit, Frau Lehrerin, ist für die Börse der Millionäre geschaffen. Mit meiner Finanzkraft leistet man sich eine Weltordnung. Die Welt machte mich zu einer Hure, nun mache ich sie zu einem Bordell. Wer nicht blechen kann, muss schauen, wo er bleibt. Anständig ist nur, wer zahlt, und ich zahle. Güllen für einen Mord. Konjunktur für eine Leiche.“
Friedrich Dürrenmatt, „Der Besuch der alten Dame“, 1956.
Den Flyer findet ihr hier auch als [pdf] zum Download.