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Filmseminar: Catch 22
29. März 2023 @ 20:00 - 23:00
(Spielfilm | Regie: M. Nichols | USA 1970 | 122 Min. | deu)
Wäre der Krieg nicht für bestimmte Leute das denkbar einträglichste Geschäft schlechthin, er wäre schon längst beendet. Der Krieg schafft sich jedoch – als die Fortsetzung verfehlter herrschender Politik mit anderen Mitteln – durch das „Recht des Stärkeren“ seine eigene, menschenwidrige Gesetzmäßigkeit, die alle zivilisatorischen Errungenschaften mit Füßen tritt. Sie kann nur außer Kraft gesetzt werden, indem die Kräfte der menschlichen Vernunft gegen die Irrationalität des Militarismus und dessen Profiteure eine neue Stärke des Rechts gesellschaftlich durchsetzen.
Ein eindrucksvolles Plädoyer in diesem Sinne ist die grandiose Verfilmung der beißenden Antikriegssatire „Catch-22“ von Joseph Heller.
Als einer der wichtigsten Beiträge zur weltweiten Protestbewegung gegen den US-geführten Krieg in Vietnam adaptierte Regisseur Mike Nichols unter Mitwirkung zahlloser hervorragender Schauspieler:innen Hellers Romanvorlage für die Leinwand. Bereits 1953 – just als die USA anfingen, Korea zu bombardieren – begann der in Brooklyn aufgewachsene Sohn jüdisch-russischer Immigranten damit, seine Erfahrungen als auf Korsika stationierter Bombenschütze der US-Luftwaffe am Ende des Zweiten Weltkriegs schriftlich zu verarbeiten. Die Erlebnisse von Cpt. Yossarian – der handlungsleitenden Hauptfigur – auf dem fiktiven Luftwaffenstützpunkt Pianosa dienen dabei als Erzählstrang für die satirisch-aufklärerischen Reflektionen zur Abrechnung mit der (Un-)Logik des Krieges insgesamt.
Yossarian fliegt als Bombenschütze lebensgefährliche, brutale und in ihrer Sinnhaftigkeit höchst zweifelhafte Einsätze gegen das von den deutschen Faschisten besetzte Italien. Er will aus dem Kriegsdienst entlassen werden, aber der dienstoberste Befehlshaber setzt aus purem Geltungsdrang die Anzahl der dafür notwendig zu fliegenden Einsätze willkürlich immer wieder nach oben. Der Stabsarzt erklärt Yossarian die zynische Logik des Krieges: ein Soldat kann nur aus dem Dienst entlassen werden, wenn er auf eigenen Antrag hin als „verrückt“ eingestuft wird. Stellt er jedoch einen solchen Antrag, dann beweist er damit allerdings bereits seine Zurechnungsfähigkeit, denn den halsbrecherischen Einsätzen entfliehen zu wollen, sei doch Ausdruck höchster geistiger Klarheit. Das ist Catch-22 – der Trick, mit dem der Krieg sich selbst legitimiert und die Willkür „Gesetzesrang“ erhält.
Das barbarische Wesen dieser Willkür, mit der die Vernunft ausgeschaltet und der Mensch zu einem wilden Triebwesen gemacht werden soll, rückt Yossarian in verschiedensten Begebenheiten immer stärker zu Leibe. Nach und nach verliert er seine weniger renitenten Kameraden und muss beobachten, wie die eigene Armee sich in der Kriegführung immer mehr den gegnerischen Faschisten angleicht. Der kühl berechnende Cpt. Milo hat aus der Not ein Geschäft gemacht, bereichert sich durch den Verkauf lebenswichtiger Ausrüstung, bildet ein profitables Syndikat und lässt zu Gewinnzwecken in Absprache mit den Deutschen sogar den eigenen Stützpunkt bombardieren. In den „befreiten“ Ländereien etabliert er ein unternehmerisches Regime, das dem der Nazis in Menschenverachtung kaum nachsteht. Für ihn könnte der Krieg ewig weitergehen.
Mit Yossarian, der zunächst innerlich gegen die mörderische Unvernunft des Krieges rebelliert hat, erkennt auch der Zuschauer zunehmend, dass dieses Aufbegehren kein Akt bloßer egoistischer Selbsterhaltung, sondern Ausdruck zutiefst verallgemeinerbarer Menschlichkeit ist.
Mit dem Finale setzt der Film nicht nur allen ein Denkmal, die in Zeiten der „inthronisierten Unvernunft“ bei Verstand bleiben und dem Unwesen des Krieges mit allen Mitteln persönlich couragiert entgegentreten. Er vermittelt zudem die hochaktuelle Einsicht, dass Frieden zu schaffen darin besteht, global für Verhältnisse zu sorgen, in denen mit Armeen kein Geschäft mehr zu machen ist. In der zivilen Entwicklung einer menschenwürdigen Welt finden alle gesellschaftlichen wie auch individuellen Veranlagungen des menschlichen Gattungswesens (Denken, Lachen, gestaltendes Tätigsein im Verbund mit Seinesgleichen) ihre einzig zweckmäßige Anwendung.
Darum: Brot, Frieden, Würde – jetzt! International solidarisch: Schluss mit Austerität.
„General, der Mensch ist sehr brauchbar.
Er kann fliegen und er kann töten.
Aber er hat einen Fehler:
Er kann denken.“
Bertolt Brecht, „General, dein Tank ist ein starker Wagen“ in: „Svendborger Gedichte“, 1939.