- Diese Veranstaltung hat bereits stattgefunden.
Filmseminar: Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui
Januar 24 @ 20:00 - 23:30
Wer begreift, kann verändern: das Erstarken der extremen Rechten ist keine unabwendbare Naturgewalt. Ihre Protagonist:innen sind keine ehrfurchtgebietenden Persönlichkeiten. Es sind gewöhnliche Verbrecher, die allerdings mit ihrer völkisch-nationalen, sozialdarwinistischen Anti-Humanität in Krisenzeiten bestimmten gesellschaftlichen Kreisen sehr nützlich werden können – namentlich denjenigen Wenigen, die von der strukturellen Ausbeutung der Vielen profitieren und diesen „Vorteil“ mit allen Mitteln zu verteidigen gewillt sind gegen jene gesellschaftlichen Tendenzen und Kräfte, die zur nachhaltigen Überwindung der sozialen Ungleichheit drängen.
Auch der historische Faschismus (1933-45) hatte einflussreiche Nutznießer, duldsame Ermöglicher, willfährige Wegbereiter wie auch organisierte Gegenkräfte und gesellschaftspolitische Alternativen und hätte insofern verhindert werden können.
Das für ein heutiges „Nie wieder!“ wegweisende Verdienst des 1941 von Bertolt Brecht im finnischen Exil verfassten, parabelhaften Theaterstücks „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“ besteht just in der kunstvoll-erkenntnisreich gestalteten Entschleierung jener vermeidbaren Ursachen der Barbarei und ihres herrschaftsservilen Wesenskerns.
Übertragen in das Gangstermilieu Chicagos der 1920er Jahre werden die historischen Ereignisse, die zur Machtübertragung an Hitler und zum Zweiten Weltkrieg geführt haben, dem kritischen Urteil des Publikums zugänglich gemacht.
Aufgrund einer ökonomischen Krise leidet der mächtige Chicagoer Karfioltrust unter Umsatzeinbußen und kann seinen Blumenkohl bei der lokalen Bevölkerung nicht mehr absetzen. Um staatliche Gelder zu erhalten, wird der ehrwürdig-bekannte Stadtrat Dogsborough („Hindenburg“) mit der Schenkung eines Landhauses und dem Verkauf einer Reederei in die Dienste des Trusts eingebunden. Dieser revanchiert sich mit Krediten, die als Förderung für den Bau von Kaianlagen getarnt werden. Als der Betrug öffentlich ruchbar zu werden droht, sieht der Anführer einer Kleingangsterbande Arturo Ui („Hitler“) seine Stunde gekommen. Der bieder-besessene Emporkömmling, dem nichts über die Anerkennung des Trusts geht, lässt mithilfe seiner Schlägertrupps Belastungszeugen verschwinden und macht sich durch Erpressung Dogsboroughs („Osthilfeskandal“) zusätzlich unentbehrlich für die Mächtigen. Um Eindruck bei den Massen zu schinden und seinen reaktionär-devoten Habitus zu verschleiern, hat er Schauspielunterricht genommen. Als dennoch einige Kleinhändler seinen brutalen Methoden widerstehen, lässt er in den Kaispeichern einen Brand legen und nutzt die öffentliche Empörung, um mittels Justiz und Polizei die politischen Gegner des Trusts zu beseitigen („Reichstagsbrandprozess“). Die nun einsetzenden internen Machtkämpfe zwischen dem Leutnant seiner Schlägertrupps, Ernesto Roma („Röhm“), und den mit den Interessen des Trusts eng verbandelten Blumenhändlern Giri („Göring“) und Givola („Goebbels“) entscheidet er zugunsten Letzter und somit zugunsten der ungezügelten ökonomischen Expansion. Diese nimmt, eingeleitet durch die Ermordung des Zeitungsverlegers Dullfeet („Dollfuß“), mit der Übernahme des Grünzeughandels in der Vorstadt Cicero („Österreich“) ihren blutigen Anfang. Das grausame Ende ist hinlänglich bekannt.
Mittels kritisch-deutender Darstellung, unterstützt durch die kongeniale Inszenierung des Berliner Ensembles, gelingt dem Brechtschen Theater hier eine unvergleichliche Aufklärungswirkung. Auf jeder Stufe des historischen Negativ-Prozesses werden die Möglichkeiten des verändernden Eingreifens für das Publikum identifizierbar. Mit entmystifizierendem Witz und satirischer Offenlegung der sozialen und politischen Wirkungszusammenhänge werden die Akteure der Rohheit in ihrer subjektiven Nichtigkeit durchschaubar gemacht und dem Gelächter anheimgestellt. Ihre objektiv brutale Funktion kann folglich umso bewusster und souveräner bekämpft werden. Das aktive Engagement für die Einheit von Freiheit, Gleichheit, Solidarität im globalen Maßstab und eine friedvolle, allseitig humane Zivilisationsentwicklung gewinnt so an Aussicht, Substanz und perspektivbildender Wirksamkeit.
Wir können befreiend lernen, begreifend widerstehen, bessernd gestalten. So sollte Theater sein. So kann eine menschliche Gesellschaft werden.
Brot, Frieden, Würde – jetzt! International solidarisch: Schluss mit Austerität.
„Die großen politischen Verbrecher müssen durchaus preisgegeben werden, und vorzüglich der Lächerlichkeit. Denn sie sind vor allem keine großen politischen Verbrecher, sondern die Verüber großer politischer Verbrechen, was etwas ganz anderes ist.“
Bertolt Brecht, „Anmerkungen zu: Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“, 1955.