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Die Rapoports – Unsere drei Leben
24. Juni 2020 @ 21:00 - 23:30
Doku | Regie: Sissi Hüetlin, D 2002 | 57 Min.| deu
Wenn die derzeitige Virus-Pandemie eines enthüllt hat, dann ist es der Umstand, dass alle Wissenschaft und allzumal die Medizin – ob gewollt oder nicht – genuin gesellschaftlich, also politisch ist. Ein Blick auf geschichtlich bereits hervorgebrachte fortschrittliche Haltungen, Erkenntnisse, Erfahrungen und Errungenschaften lohnt daher insbesondere, wenn es um Heilung im umfassenden persönlichen, gesundheitlichen wie gesellschaftlichen Sinne geht.
Ingeborg und Samuel Mitja Rapoport hatten entscheidenden Anteil daran, dass in der DDR eines der seinerzeit weltweit vorbildlichsten und erfolgreichsten Gesundheitssysteme hat entwickelt werden können. Mit kostenlos Allen zugänglicher medizinischer Versorgung auf dem höchsten wissenschaftlichen Niveau in einem flächendeckenden Poliklinik-System, staatlich kontrollierter Pharmazie-Produktion und einem sozial-kritisch präventiven Grundansatz in Forschung, Lehre und klinischer Praxis stand der Mensch mit seinen Bedürfnissen als gesellschaftliche Persönlichkeit im Mittelpunkt allen Tuns. Die durchschnittliche Lebenserwartung lag u.a. deswegen höher, die Säuglingssterblichkeit bedeutend niedriger als in vergleichbaren Industrienationen des Westens. Im Übrigen besaß die DDR bereits in den 1970er-Jahren einen ausgereiften Pandemie-Plan, dessen Inhalte dauerhafter Bestandteil der medizinischen Ausbildung waren.
Samuel Rapoport wirkte dabei entscheidend für eine diskursive und demokratische Reformierung des Hochschulwesens und etablierte egalitäre Lehrformen, die anderswo nicht einmal durch die 1968er-Bewegung haben erreicht werden können. Sein biochemisches Lehrbuch wurde aufgrund seiner fachlich-didaktischen Qualität zum internationalen Standardwerk. Ingeborg Rapoport begründete die Neugeborenen-Heilkunde als eigenständiges Fach, in dem durch die Einbeziehung aller beteiligten Berufsgruppen und der Patient*innen entscheidende Zusammenhänge zur dauerhaften Verbesserung der sozialen, kulturellen, hygienischen und behandlerischen Versorgung von Schwangeren und Neugeborenen gewonnen werden konnten.
Die Dokumentation des bewegten und beispielgebenden Lebens und Wirkens von Ingeborg und Samuel Mitja Rapoport ist dabei auf bemerkenswerte Weise gleichzeitig ein erhellender Abriss der Geschichte des 20. Jahrhunderts.
Beide flohen als jüdisch-stämmige junge Erwachsene vor der Verfolgung der deutschen Faschisten in die USA, wo sie in der Aufbruchphase der New-Deal-Politik Roosevelts nicht nur am Kinderkrankenhaus in Cincinnati, Ohio einander kennenlernten und wissenschaftliche Durchbrüche wie die Entdeckung der ersten Methode zur Blutkonservierung erreichten, sondern sich aufgrund ihrer friedenspolitischen, antifaschistischen und humanistischen Überzeugungen auch der gewerkschaftlichen Aufklärungsarbeit und der kommunistischen Partei anschlossen. Infolge des Rechtsrucks der USA nach dem Tode Roosevelts mussten sie aufgrund der antikommunistischen Hetzstimmung in der McCarthy-Zeit erneut fliehen und gelangten über das Wiener Exil nach Ostberlin, wo man ihre wissenschaftliche Expertise zu schätzen wusste und beteiligten sich folglich am herausfordernden Aufbau der sozialistischen Gesellschaft in dem durch den Krieg schwer zerstörten Land.
Die tiefgreifende Überzeugung, gegen alle Widrigkeiten mit allseitig menschenfreundlichem Engagement eine Besserung der Welt zu schaffen, ist das unverbrüchlich geschaffene, einnehmend sympathische und über die eigene Zeit hinaus wirkende Exempel der historischen Persönlichkeit. Heilung ist eine produktive Angelegenheit Aller. Freude sei der Maßstab des Gelingens.
Wir können aus der Geschichte lernen.
In diesem Sinne: Schluss mit Austerität!
„Was Vergangenheit ist, ist Prolog.“
William Shakespeare, „Der Sturm“, Akt II, 1. Szene, 1611.
Hier findet ihr den Fyler auch als pdf.