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Filmseminar: Der Maulkorb
24. Februar 2021 @ 18:00 - 22:00
(Spielfilm | Regie: W. Staudte | D 1958 | 94 Min. | deu)
Als nächstes zeigen wir den Film „Der Maulkorb“ von Wolfgang Staudte aus dem Jahr 1958. Die Veranstaltung findet statt am Mittwoch, den 24. Februar und beginnt um 18 Uhr im Abaton Kino (Allende-Platz 3). Im Anschluss an den Film wird es wie immer Gelegenheit zur Diskussion geben. Das Filmseminar gegen Austerität wird als studentisches Seminar organisiert. Zur Teilnahme bitten wir um eine kurze Anmeldung per Mail an kontakt@schluss-mit-austeritaet.de
Beim Ruchbarwerden von politischen Verfehlungen hochrangiger Staatsbediensteter ist es seit jeher guter, obrigkeitsdeutscher Brauch, nicht die Ausrichtung der Politik in Frage zu stellen, sondern diejenigen zu maßregeln, die die unliebsamen Wahrheiten öffentlich kundtun. Dass dieser Brauch mitverantwortlich für zwei Weltkriege war, gab den „Gründungsvätern“ der Nachkriegs-BRD 1949 Anlass genug, solch undeutsche Gedanken in der Verfassung zu verankern wie die Presse- und Meinungsfreiheit, das Versammlungsrecht, die Freiheit der Wissenschaft und die Kunstfreiheit. Dass diese Grundsätze in einem weiterhin konservativ geprägten, wiederaufgerüsteten, von Konzerninteressen bestimmten und vor Altnazis wimmelnden demokratischen Rechtsstaat auch nicht ohne Weiteres Geltung finden, gab wiederum dem antifaschistischen Filmemacher und belobigten „Nestbeschmutzer“ Wolfgang Staudte 1958 Anlass genug, eine humoreske Nazi-Klamotte des „Feuerzangenbowlen“-Ko-Autors Heinrich Spoerl satirisch gegen die alten und neuen Herren zu wenden.
„Wer Äußerungen oder Taten gekrönter Häupter oder Staatsmänner verbreitet, die geeignet sein können, das Ansehen des Herrscherhauses zu schädigen, wird mit Gefängnis bestraft.“ Dies verfügt Seine kaiserlich-preußische Majestät, um eine peinliche Berichterstattung über seine ganz und gar nicht standesgemäßen, außerehelichen Betätigungen zu unterbinden. Was ein wiederum gar nicht so aufrührerisches Element in einer fiktiven Kleinstadt dazu bewegt, aus Protest der Reiterstatue des Allerhöchsten einen Hundemaulkorb anzulegen.
Die Aufklärung des hohe Wellen schlagenden Skandals fällt dem ermittelnden Staatsanwalt von Treskow (herausragend: O.E. Hasse) besonders schwer. Er selbst ist der eigentliche Urheber der zersetzenden Schandtat. Zugleich lassen jedoch eine postalkoholische Gedächtnislücke und seine strikt kaisertreue, staatsliebende Gesinnung auch nur die Erwägung eines solchen Tathergangs unter keinen Umständen zu. Um den Fall dennoch zügig abschließen und Seine Majestät endlich wieder ruhig schlafen lassen zu können, ist von Treskow auf den einzigen Zeugen angewiesen: den unkonventionellen Lebemann und zugezogenen Kunststudenten Rabanus, dessen respektlose Freizügigkeit die Ermittlungsversuche zu einer herzhaft-bissigen Groteske werden lässt.
Mit allen Mitteln der Kunst entblößt die Satire hierbei die ganze Absurdität einer starrsinnigen, durch behördliche Vorgaben und rigide Alltagskonventionen reglementierten Ordnung, die – jeglichen sozial vernünftigen Inhalts entleert – nur noch um ihrer Selbsterhaltung willen existiert.
Diese Ordnung – „Preußens Gloria“ – wird durch den augenfällig gemachten Umstand überführt und dem heilsamen Gelächter anheimgestellt, dass ihr Regelwerk so menschenwidrig ist, dass nicht einmal ihre vehementesten Verfechter sich vollständig daran zu halten wissen. Gerettet werden kann sie nur noch dadurch, dass die von ihr am meisten Missachteten – im Film der kritische Intellektuelle, die mittellosen Arbeiter und die ihres goldenen Käfigs überdrüssige Bürgertochter – sie tiefgreifend in Frage stellen. Wenn dem aber so ist, braucht schließlich auch die Frage, ob eine solche Rettung überhaupt sinnvoll ist, kaum noch eine Antwort.
Analogien der Filmhandlung zur heutigen Zeit sind leider kaum zufälliger Natur – auch wenn sich, wie 1968 gezeigt wurde, aus Geschichte durchaus lernen lässt.
Die erwähnten Grundrechte haben ihren höheren Zweck in der Entfaltung eines solidarischen, kultivierten, demokratischen Gemeinwesens und eines erfreulichen Lebens für Alle. Ihre gemeinschaftlich-engagierte, aufgeklärte Verwirklichung ist gleichzeitig der beste Garant für die Hebung des allgemeinen und spezifischen gesundheitlichen Wohlergehens.
Maulkörbe jedweder Art sollten Vierbeinern vorbehalten bleiben.
Eine bessere Welt beginnt mit höheren Ansprüchen.
Insofern: International solidarisch – Schluss mit Austerität!
„Wer auf der Straße räsoniert,
Wird unverzüglich füsiliert;
Das Räsonieren durch Gebärden
Soll gleichfalls hart bestrafet werden.
Vertrauet Eurem Magistrat,
Der fromm und liebend schützt den Staat
Durch huldreich hochwohlweises Walten;
Euch ziemt es, stets das Maul zu halten.“
Heinrich Heine, „Erinnerung aus Krähwinkels Schreckenstagen“, 1835.
Hier findet ihr den Flyer auch als pdf.