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Das weiße Band
18. März 2020 @ 20:00 - 23:30
(Spielfilm | Regie: M. Haneke | A/D 2009 | 145 Min. | deu)
Wer genauer erfassen möchte, warum die Bundesrepublik – trotz aller nachgewiesenen ökonomischen Unsinnigkeit, menschlichen Verheerung, massivster internationaler Kritik und erkennbaren Schädigung der mindestens innereuropäischen, zwischenstaatlichen Beziehungen – als letzte verbliebene Regierung bis heute noch am fatalen, austeritätspolitischen Kürzungsdiktat und dem Fetisch des ausgeglichenen Haushalts festhält, muss diesen Film sehen!
Die geistige Begrenztheit des provinziellen Biedersinns, die Schuldkomplex-beladene Lebens- und Genussfeindlichkeit eines tief autoritären, doppelmoralischen Protestantismus, die lang tradierte Feudalherrschaft in Kleinstaaterei und die romantisch ins Innerliche unterdrückte und als grotesk selbstfeindschaftliche Gewalttätigkeit nach außen gewendete Großmannssucht, garniert mit Misstrauen, beklemmender Verschwiegenheit, Denunziantentum und Sündenbock-Suche: gekennzeichnet ist damit nicht die Mentalität Wolfgang Schäubles, sondern die Atmosphäre des wilhelminischen Imperialismus zur Jahrhundertwende in dem fiktiven norddeutschen Dorf Eichwald, mit dem Michael Haneke filmisch hervorragend verdichtet alles einfängt, was an der deutschen Geschichte ablehnenswert ist.
Baron, Pfarrer, Arzt und Gutsverwalter wachen als Dorfelite unter dem Deckmantel christlicher Sittenstrenge über die demütige Einhaltung des starren Willkürregiments, in dem keiner seinen Platz in der Ausbeutungsordnung zu verlassen hat. Doch Prügelstrafe und die stets angeordnete Reinigung von »Sünde«, »Selbstsucht«, »Neid«, »Unkeuschheit«, »Lüge« und »Faulheit« fördern das untergründig schlummernde Böse nur erst Recht zu Tage. Eine Reihe von Grausamkeiten erschüttert das Dorfleben und fügt sich doch gespenstig in den alltäglichen Gang der Dinge ein, der langsam aber sicher auf den ersten Weltkrieg zusteuert und die Kulmination im Faschismus bereits andeutet.
Die unerbittliche Schärfe der Darstellung des Ungeheuerlichen hinter den sittlichen Fassaden ist eine heilsame Aufforderung zur klaren Herausbildung der Alternative. Schon damals war die Menschheit reich genug, um in Frieden, allseitiger produktiver Wohlentwicklung, sozialer Unbedrängtheit und internationaler Solidarität ihre Geschicke planvoll, bewusst und menschenwürdig zu gestalten. Es bedurfte der grundlegenden gesellschaftlichen Umwälzung von 1918/19, um dem überhaupt näher zu kommen. Das nicht verwirklichte Erbe dieser positiven Zäsur steht heute, da der materielle Reichtum noch um ein Vielfaches größer ist, erst Recht auf der gesellschaftlichen Tagesordnung.
Dafür sind alle geistigen, sozialen, politischen und kulturellen Ketten der Vergangenheit nachdrücklich zu sprengen. Schluss mit der Enge. Schluss mit Austerität.
Wir haben eine Welt zu gewinnen!
„Krieg den deutschen Zuständen! Allerdings! Sie stehn unter dem Niveau der Geschichte, sie sind unter aller Kritik, aber sie bleiben ein Gegenstand der Kritik, wie der Verbrecher, der unter dem Niveau der Humanität steht, ein Gegenstand des Scharfrichters bleibt. Mit ihnen im Kampf ist die Kritik keine Leidenschaft des Kopfs, sie ist der Kopf der Leidenschaft. Sie ist kein anatomisches Messer, sie ist eine Waffe. Ihr Gegenstand ist ihr Feind, den sie nicht widerlegen, sondern vernichten will. Denn der Geist jener Zustände ist widerlegt.“
Karl Marx, „Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie. Einleitung“, MEW Bd. 1, 1844.
Hier findet ihr den Tyler als pdf.