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Filmseminar: City of God

24. November 2021 @ 20:00 - 23:00

(Spielfilm |Fernando Meirelles | BR 2002| 128 Min. | deu)


Wer in einer „Favela“ zur Welt kommt, hat eigentlich nur dann eine echte Perspektive, wenn er ihr so schnell wie möglich entkommen kann. Ursprünglich eine in Brasilien heimische Kletterpflanze bezeichnend, wurde der Begriff im 20. Jahrhundert namensgebend für die nach dem offiziellen Ende der Sklaverei 1888 sich rasant bildenden Elendssiedlungen am Rande dergrößeren Städte, in die es in Scharen die mittellose Landbevölkerung zog – auf der Suche nach einer kleinen Überlebenschance. Meist illegal und chaotisch aus einfachstem Baumaterial errichtet, ohne Strom, fließendes Wasser oder Kanalisation, erklommen sie die wildwüchsigen Hügel in den noch nicht erschlossenen Stadtgebieten und bringen seitdem die himmelschreiende Armut des über mehrere Jahrhunderte in Unterentwicklung gehaltenen Landes genau da zur Sichtbarkeit, wo sie die korrupte wirtschaftliche und politische Elite nie haben wollte: in unmittelbarer Nachbarschaft zu den eigenen Luxusapartments und den touristischen Hochglanzmotiven. Bis zur Wahl des linken Luiz Inácio „Lula“ da Silva zum Präsidenten 2003 war der politische Umgang mit den Bewohnern der Favelas wesentlich von Ignoranz, Entrechtung, Stigmatisierung, gewalttätiger Unterdrückung oder gar brutalen Zwangsumsiedlungsversuchen geprägt.

Umso aufrüttelnder war die Wirkung, die der Film „City of God“2002 entfaltete. Er schildert in bis dahin ungekannt kritischemRealismus die schier aussichtslose Spirale aus Prekarität, Perspektivlosigkeit, staatlicher Willkür und alltäglicher Gewalt, die das Leben in den Favelas bestimmt. Basierend auf einem 1997 veröffentlichten Erzählband von Paulo Lins, der selbst in der namensgebenden Favela am Stadtrand von Rio de Janeiro aufwuchs, wird nach wahren Begebenheiten die Geschichte des Viertels und seiner Bewohner:innen anhand der sich immer wieder kreuzenden Schicksale zweier Jungen erzählt, die auf unterschiedliche Weise dem Elend zu entrinnen versuchen: Zé Pequenho („Löckchen“), der durch Skrupellosigkeit zum mächtigen Drogenhändler aufsteigen will, um so das Viertel unter seine Kontrolle zu bringen und es dabei in einen blutigen Bandenkriegsschauplatz verwandelt und Buscapé, der sich, um Redlichkeit bemüht, versucht, aus dem Ärgsten herauszuhalten und davon träumt, Fotograf zu werden, um es in ein besseres Leben zu schaffen.

In dieser Spannungslinie entfaltet die unglaublich wirklichkeitsnah gestaltete, filmische Erzählung auch deswegen eine einzigartig aufklärerische Wucht, weil die Darstellenden fast ausnahmslos speziell für diesen Film engagierte Favela-Bewohner:innen ohne vorherige Schauspielerfahrung sind, die in einem mehrmonatigen kollektiven Erarbeitungsprozess nach dem Vorbild der „Pädagogik der Befreiung“ Paulo Freires sich den Stoff gemeinsam angeeignet und in weitestgehend szenisch-improvisiertem Spiel der Geschichte ihr ganz persönliches, bahnbrechend überzeugendes Gepräge gegeben haben.

Auf diese Weise gelingt es dem Film, eine Botschaft zu vermitteln, die angesichts des erreichten Millionenpublikums in den bequemen Kinosesseln der Welt kaum anders denn als „revolutionär“ bezeichnet werden kann: wer sich über die gezeigte Rohheit der Zustände in den Favelas (zurecht) empört, der muss gesellschaftliche Zustände schaffen, die die Favelas unnötig machen.

In der Regierungszeit der Arbeiterpartei PT (2003-2016) wurden in Brasilien dahingehend immense Fortschritte erreicht. Dass dieser Prozess zunächst hat aufgehalten werden können, hat viel mit der massiven Einflussnahme auch bundesdeutscher Konzerne und der Anwendung des von hier exportierten Austeritätsregimes zu tun. Umgekehrt hat das Wirken fortschrittlicher Kräfte hierzulande wiederum entscheidende Bedeutung für die Überwindung der Reaktion und die gelingende Ausweitung der progressiven Transformation – in Brasilien und allerorten. Global steht eine neue Etappe sozialer Humanität auf der Tagesordnung.So entstehen Einsicht, Aussicht und Zuversicht.

International solidarisch: Schluss mit Austerität!

Nicht der Armen Schlechtigkeit hast du mir gezeigt, sondern der Armen Armut. Zeigtet ihr mir der Armen Schlechtigkeit, so zeig ich euch der schlechten Armen Leid.
Bertolt Brecht, „Die heilige Johanna der Schlachthöfe“, 1931.

Hier findet ihr den Flyer auch als pdf.

Details

Datum:
24. November 2021
Zeit:
20:00 - 23:00
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