
Filmseminar: Draußen vor der Tür
Beginn um 21 Uhr.
(Fernsehspiel | Regie: Fritz Borneman | DDR 1960 | 75 Min. | deu)
Am 1. September 1939 überfiel das faschistische Deutsche Reich die Republik Polen. So begann der zweite, vom deutschen Militarismus entfesselte, weltweite Raub- und Eroberungsfeldzug. Als es den in der globalen Anti-Hitler-Koalition (Sowjetunion, USA, GB) vereinigten Antifaschist:innen sechs Jahre später gelang, die Wehrmacht zur bedingungslosen Kapitulation zu zwingen, waren bereits über 65 Mio. Menschen dem deutschen „Griff nach der Weltmacht“ zum Opfer gefallen, darunter allein 27 Mio. Sowjetbürger:innen. Heute, 86 Jahre später, soll die bundesdeutsche Gesellschaft erneut zur kriegerischen Konfrontation mit Russland dem Primat des Militärischen unterworfen werden. Umso dringlicher erscheint es, die historischen Schlussfolgerungen des „Nie wieder!“ (u.a. vollständige Entmilitarisierung Deutschlands, Verbot aller Kriegsvorbereitungen und zwischenstaatlicher Gewalt im internationalen Völkerrecht, globale Abrüstungsverpflichtungen, etc.) neu ins öffentliche Bewusstsein zu bringen.
Ein entschiedener Verfechter dieses „Nie wieder!“ war der Hamburger Dichter Wolfgang Borchert. In seinem 1947 veröffentlichten Drama „Draußen vor der Tür“ verarbeitet er sowohl seine Erfahrungen als 20-jähriger Wehrmachtssoldat im Russlandfeldzug als auch die Konfrontation mit einer westdeutschen Nachkriegsgesellschaft, die von ihrer Verantwortung für die Gräueltaten des Krieges und seine Folgen nichts wissen will.
Protagonist des Stücks ist der junge Beckmann, der 1943 bei Stalingrad in Gefangenschaft geriet und nun – drei Jahre später – als Kriegsversehrter nach Hamburg zurückkehrt. Desillusioniert und mittellos irrt er durch die Schuttwüste seiner Heimatstadt. Da seine Frau mit einem neuen Mann die alte Wohnung bewohnt, will er sich das Leben nehmen. Doch die Elbe spuckt ihn erzürnt wieder aus. Er solle erst einmal „richtig leben“. Ein mitleidiges Mädchen nimmt ihn bei sich auf. Doch schon bald meldet sich die Schuld. Der, dem er hier den Platz streitig macht, könnte einer seiner verschollenen Kameraden sein, über die er im Feld die Aufsicht hatte. Auf Geheiß des „Anderen“, einem inneren Wegbegleiter, der ihn stets zur Zuversicht mahnt, sucht Beckmann seinen ehemaligen Oberst auf, um ihm die Verantwortung zurückzugeben. Doch der saturierte Vorgesetzte erklärt Beckmanns Fiebertraum zu einer Kabarettnummer und jagt ihn davon. Auch ein Theaterdirektor, bei dem Beckmann vorspricht, wiegelt ab. Die Wahrheit, die aus seiner gequälten Seele spreche, wolle heutzutage niemand hören. Als ihm die neue Bewohnerin des Elternhauses auch noch gleichgültig erklärt, Vater und Mutter Beckmann hätten sich selbst „entnazifiziert“, bricht Beckmann zusammen. Das traumartige Resümee seiner Odyssee mündet in einem Aufschrei der Verzweiflung: Worauf ist bei all dieser nihilistischen Verneinung des Humanen ein sinnvolles, menschliches Leben zu gründen?
Das dreifach wiederholte „Gibt denn keiner eine Antwort?“ ist die poetisch verdichtete Anklage einer verratenen Generation, die für den Wahnwitz eines Weltkrieges verheizt wurde, an dem Andere profitierten. Es ist das aufrüttelnde Plädoyer eines Kriegsheimkehrers, den Krieg ein für allemal zu ächten und aus dem Leben der Menschheit zu verbannen. Es ist der zutiefst humanistische Appell an die Mitwelt, eine Gesellschaft zu schaffen, in der der Mensch sich gegenseitig nach Maßgabe der Schönheit gestaltet, statt sich zu vernichten.
Die 1960 entstandene, werkgetreue Umsetzung für das DDR-Fernsehen bringt diese künstlerische Botschaft unmissverständlich zur Wirkung. Lehrreicher und aktueller könnte ein Bühnenstück kaum sein. Es ist an uns, Antwort zu geben.
Hinaus zum Antikriegstag! International solidarisch – Schluss mit Austerität!
„Und jetzt sitzen sie hinter ihren Türen. Herr Studienrat, Herr Direktor, Herr Gerichtsrat, Herr Oberarzt. Jetzt hat uns keiner hingeschickt. Nein, keiner. Alle sitzen sie jetzt hinter ihren Türen. Und ihre Tür haben sie fest zu. Und wir stehen draußen. Und von ihren Kathedern und Sesseln zeigen sie mit dem Finger auf uns. So haben sie uns verraten. So furchtbar verraten. Und jetzt gehen sie an ihrem Mord vorbei, einfach vorbei.“
Wolfgang Borchert, „Draußen vor der Tür“, 1947.