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„Wir Wunderkinder“ Film-Seminar gegen Austerität
8. August 2018 @ 21:00 - 23:30
(DE 1958, Deutsch, 108 min)
von Kurt Hoffmann (1958)
„Leute, genießt bloß die Nachkriegszeit – Denn bald wird sie wieder zur Vorkriegszeit -Und weil wir dem Frieden bei uns hier nicht trau’n- Wird auf die Pauke gehau’n.“
Wolfgang Neuss und Wolfgang Müller in „Wir Wunderkinder“, „Zusammenbruch-Song“, 1958.
Was ist ein Wirtschaftswunder? Nach 1945 dominierten als unmittelbare Konsequenz aus Massenmord und Weltkrieg programmatisch für den Wiederaufbau Deutschlands die konsequente Demilitarisierung, Demonopolisierung, Denazifizierung und Demokratisierung (Potsdamer Abkommen, 1948) zunächst in weiten gesellschaftlichen Krei-sen – „Sozialismus als Gegenwartsaufgabe“ vom Ahlener Programm der CDU 1947 bis SPD, Generalstreiks zur Sozialisierung der Schlüsselindustrien. Folglich sollte die BRD zunehmend von den Westmächten als ein „Bollwerk gegen den Kommunismus“ im Kalten Krieg in Stellung gebracht werden. Durch Wiederbewaffnung und „Wirtschaftswunder“, „Wir sind wieder wer“ und „Stunde Null-Politik“ sollte in den 50er Jahren in Westdeutschland die Vergangenheit klammheimlich unter den Tisch gekehrt werden. Die „alten Eliten“ (Fritz Fischer) in Wirtschaft, Justiz, Politik, Kultur und Wissenschaft wurden rehabilitiert, die KPD verboten und zehntausende linke WiderstandskämpferInnen juristisch verfolgt. Im Kino dominierte der Heimatfilm als apolitisch-eskapistische Gelegenheit zur Geschichtsverdrängung.
Die Romanverfilmung „Wir Wunderkinder“ (1958) gehört zu den wenigen kritischen Filmen dieser Zeit. Anhand der beiden Protagonisten Hans Böckel, einem demokratisch gesinnten und redlichen Journalisten und seinem ehemaligen Schulfreund Bruno Tiches, dem Archetypen eines skrupellos opportunistischen Geschäftemachers, führt er satirisch-bissig durch die Geschichte deutschen Großmachtstrebens von der Kaiserzeit bis eben zum „Wirtschaftswunder“. So räumt er mit der zentralen Legende auf, die deutsche Wirtschaftsstärke beruhe auf grandiosem Erfindergeist oder uneigennütziger Tatkraft deutschen Unternehmertums sondern legt deren wahre Quellen offen: skrupellose Ausbeutung, räuberische Beutezüge gegen andere Länder und faschistische Verbrechen (u.a. Zwangsarbeit). Die Entschleierung zeigt: man muss vor den „Herren Wirtschaftsführern“ nicht nur keinen Respekt haben. Eine vernünftige gesellschaftliche Entwicklung lässt sich vielmehr nur gegen sie durchsetzen; wie es folgend durch den demokratischen, sozialen, kulturell-befreienden und friedensbewegten Aufbruch der 68er-Bewegung auch in weiten Teilen gelang.
Das hat heute mehr denn je Bedeutung: wenn das deutsche Establishment wieder militärische „Verantwortung in der Welt“ (Gauck) sucht und sich das „deutsche EUropa“ mit Exporten, Knebelkrediten sowie Austeritäts- und Privatisierungsterror unterwerfen will, kommt es auf uns an, mit den Konsequenzen aus 1945 und 1968 wirklich ernst zu machen: International Solidarisch – Schluss mit Austerität!
„Was darf die Satire? Alles.“
Kurt Tucholsky, „Was darf die Satire?“, 1919.
„Und gehts gut, so ist der Kapitalist ein tüchtiger Kerl, auch zeigt dies, daß die Wirtschaft nicht auf private Initiative verzichten kann. Gehts aber schief, so ist das ein elementares Ereignis, für das natürlich nicht der Nutznießer der guten Zeiten, sondern die Allgemeinheit zu haften hat. Wirf den Bankier, wie du willst: er fällt immer auf dein Geld.“ Kurt Tucholsky, „Schnipsel“, 1932.
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