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Filmseminar: Lola
27. April 2022 @ 20:00 - 23:30
(Spielfilm | Regie: Rainer W. Fassbinder | BRD 1981 | 113 Min. | deu.)
Wenn deutsche Staatsmänner (auch –frauen) sich darin gefallen, wieder offen von einer deutsch-(europäischen) Führungsrolle in der Welt zu schwadronieren, wenn dafür militärisch massiv aufgerüstet, die NATO als Friedensgarant schöngelogen und die pazifistischen Schlussfolgerungen aus zwei von deutschem Boden ausgegangenen Weltkriegen vergessen gemacht werden sollen, wenn dabei nach Manier der „sozialen Marktwirtschaft“ die Staatsmilliarden für Großkonzerne der großen Menge mit wohltätigen Konsumbeihilfen schmackhaft zu machen versucht werden und wenn flankierend dazu eine mediale Öffentlichkeit variantenreich die heimatlich-heimelige Gefühlsklaviatur des deutschen Kleinbürgers bedient, dann weht ein übelriechender Hauch Adenauerscher Restauration durch das Deutschland des Jahres 2022.
Wie gut, dass sich bereits zahlreiche Kunstwerke intensiv der Kritik dieser wirtschaftswundervoll verklärten Etappe deutscher Geschichte gewidmet haben.
Unter ihnen sticht „Lola“ besonders hervor. Der dritte Teil von Fassbinders BRD-Trilogie, gerichtet gegen die 1980 proklamierte „geistig-moralische Wende“ Helmut Kohls (CDU), nimmt erzählerische Anleihen an den Film „Der blaue Engel“ (1930) bzw. dessen Romanvorlage „Professor Unrat“ (1904 von Heinrich Mann) und ist ein äußerst klug gestalteter, satirischer Anti-Heimatfilm, der kein gutes Haar lässt am korrumpierten Wesen der bundesdeutschen Nachkriegsdemokratie.
In der familiären Kleinstadtidylle Coburgs im Jahre 1957 hat der Baulöwe Schuckert (Mario Adorf), sinnbildlicher Repräsentant des Erfolgsmodells „freie Marktwirtschaft“, das Sagen. Im Bordell lenkt er mit Bürgermeister, Bankier, Polizeichef und anderen Staatsbeamten die aufgrund der wirtschaftlichen Aufbauhilfen höchst einträglichen Geschäfte der Stadt. Lola (Barbara Sukowa), seine Privatgespielin, mit der er eine uneheliche Tochter hat und die von einem besseren Leben träumt, verkehrt zugleich mit Esslin, dem anarchistischen Pazifisten und Gegenspieler Schuckerts in der Baubehörde, der jedoch als einflussloser Außenseiter im Machtgefüge der Stadt geduldet wird. Als nun ein neuer Baudezernent – der gewissenhafte Fortschrittsgeist von Bohm (Armin Mueller-Stahl) – eintrifft, scheint frischer Wind ins stockige Kleinstadtleben zu kommen. Alle umgarnen den Erneuerer und der will es allen recht machen, insbesondere der sich liebreizend-gottesfürchtig gebenden Lola. Als von Bohm jedoch erfährt, dass sie Schuckerts Hure ist, wendet sich das Blatt und der aufrechte Demokrat mit sozialer Ader bläst zum empörten Kampf gegen das Netzwerk der Verlogenheit, nur um sich letztlich doch dem korrumpierenden Einfluss des großen Geldes zu fügen. So bleibt auf erneuerte Weise alles beim Alten – und der schöne Schein von Demokratie und Wohlstand und Einigkeit und Recht und Freiheit gewahrt. Lang lebe die westliche Verteidigungsgemeinschaft!
Die gute Miene lässt das böse Spiel jedoch umso klarer erkennen und verleitet unweigerlich zu gegenteiligen Einsichten und Schlussfolgerungen. Die Grundlegungen für eine friedliche Nachkriegsordnung, wie sie 1945 mit dem Potsdamer Abkommen und 1949 mit dem Grundgesetz beschlossen wurden, sollten ernst genommen und tatsächlich verwirklicht werden: umfassende Demonopolisierung (Zerschlagung der großen Banken und Konzerne sowie die Möglichkeit ihrer Vergesellschaftung), Demilitarisierung (keine Armee und keine Rüstungsindustrie, Verbot von Angriffskriegen), Demokratisierung (der Bildung, der Kultur, der Medien und der Wirtschaft) und Denazifizierung (NPD, AfD, BND, Verfassungsschutz?). So können Alle besser leben – auch in der deutschen Provinz. Den „Eliten der Nation“ ist begründet zu misstrauen und aufklärerisch zu widersprechen. Humor schadet der Illusion und nützt der befreienden Erkenntnis zur Überwindung falscher Kompromisse. Und: Heimatfilme braucht kein Mensch.
Raus aus der Enge!
International solidarisch – Schluss mit Austerität!
„Wenn auf allen Fensterbänken
Pudding dampft, und aus den Schänken
Schallt das Lied vom Wiesengrund
Und dass am Bach ein Birklein stund.
Alle Glocken läuten mit
Die ganze Stadt kriegt Appetit
Das ist dann genau die Zeit
Da frier‘ ich vor Gemütlichkeit!“
Franz-Josef Degenhardt, „Deutscher Sonntag“, 1965.