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Die Hüter der Freiheit – Live Theater
27. Oktober 2021 @ 20:00 - 23:00
„Die Hüter der Freiheit“ von Christian Eldagsen | Künstlerische Beratung: Laura Jakschas | Mit Christa Krings, Helge van Hove, Christian Eldagsen | 27.10.2021, 20 Uhr, Anna-Siemsen-Hörsaal
„Der Sozialismus ist gescheitert und gehört auf den Müllhaufen der Geschichte.“ Wer diese Doktrin der Alternativlosigkeit von „marktkonformer Demokratie“, mithin also von Privatisierung, Individualisierung und von Sozialstaatsabbau und Strangulierung öffentlicher Daseinsvorsorge, nicht zu akzeptieren bereit ist, solle zum Arzt gehen. So lässt sich die gesellschaftspolitische Agenda der bis heute fortwirkenden 1990er-Jahre zusammenfassen. „Im Namen der Freiheit“ wurde das Gift, das die menschliche Zivilisation in die heute allerorten wahrnehmbare, tiefgreifende Entwicklungskrise gestürzt hat, auch noch als Medizin verkauft.
Mit all jenen ideologischen Trugschlüssen gründlich aufzuräumen, damit tatsächliche Besserung endlich gelingt, hat sich das „Hüter-Ensemble“ um den Autor Christian Eldagsen in seinem satirischen Lustspiel „Die Hüter der Freiheit“ zur aufklärerischen Aufgabe gemacht.
Exemplarisch anhand der Spirituosenindustrie, die nach einem Fernsehinterview zur Gesundheitsschädlichkeit von Alkohol mit einem Imageproblem zu kämpfen hat („Wenn das Klima eine Leber wäre, hätte es schon Zirrhose…“), wird das grundlegende neoliberale Krisenbewältigungsprinzip, den Bock stets zum Gärtner zu machen bzw. das Problem zur Lösung zu erklären, auf höchst unterhaltsame Weise entlarvt. Um sich die Deutungs- und Meinungshoheit über ihre Produkte zurückzuholen, beauftragt die Spirituosen-Lobby die Unternehmensberatung McKinsey, ihren Vorstand in PR-Angelegenheiten zu schulen. Angesichts des erhöhten Bewusstseins für die global dimensionierten Probleme sozialer Ungleichheit, Umweltzerstörung, zunehmender Kriege und Menschenrechtsverletzungen und dem gewachsenen Wunsch nach Verbesserungen reicht jedoch herkömmliches Anpreisender erfreulich-betäubenden Wirkung von Alkohol nicht mehr aus. Es muss stattdessen unter der Maßgabe „Alkohol stoppt den Klimawandel“ schon tiefer in die beinahe Orwell’sch anmutende Manipulationstrickkiste der „Eigenverantwortung“, sprich Individualisierung gesellschaftlicher Probleme, gegriffen werden. Anhand einer fiktiven Anklage gegen die EU-Kommission wird zudem die systemische Verbreitung jenes ideologischen Prinzips kenntlich gemacht. Diese muss sich aufgrund des Mercosur-Freihandelsabkommens und ihrer engen Verbindungen mit neoliberalen Denkfabriken, Unternehmensberatungen und Lobbyorganisationen (den „Hütern der Freiheit“) vor Gericht verantworten. Dabei wird nicht nur offenbart, welche interessengeleitet schädliche Politik hinter den Mantren von Freiheit und Demokratie zu kaschieren versucht wird, sondern auch ein mutiges Plädoyer für die real existierende, solidarische Alternative einer tatsächlich menschenwürdigen und nachhaltigen Zivilisationsentwicklung entfaltet.
So gelingt es Christian Eldagsen und Mitstreiter:innen in ihrem zweiten Theaterstück, eine erhellend-kurzweilige Abrechnung mit der dekadenten Krisenhaftigkeit des „Endes der Geschichte“ und seiner Apologeten zu verbinden mit der analytisch-weitsichtigen Schaffung kollektiven Selbstbewusstseins für die engagierte, gemeinsame Gestaltung einer erfreulichen Zukunft im Hier und Jetzt. Theater im besten Sinne seiner historischen Funktion, von dem es entschieden mehr braucht.
Auch darum: International solidarisch – Schluss mit Austerität!
„Ein Künstler ist derjenige, bei dem der Augenblick der größten Leidenschaft mit dem der größten Klarheit zusammenfällt. Die Dilettanten ermessen die Gewalt eines Eindrucks daran, daß ihnen die Tabakspfeife ausgeht. Der Mut des Künstlers besteht darin, daß er denkt.“
Bertolt Brecht, „Heiterkeit der Kunst“ in „Schriften zum Theater I“, 1924-28.