- Diese Veranstaltung hat bereits stattgefunden.
Everything must fall
11. Dezember 2019 @ 20:00 - 23:30
(Doku | Regie: R. Desai | RSA 2018 | 85 Min. | OmU)
Vorweg: wenn Bildung, Wissenschaft und die Verfasstheit der entsprechenden Einrichtungen keine Bedeutung für die gesellschaftliche Entwicklung insgesamt hätten, wäre ein Film wie dieser über die jüngsten Studierendenproteste in Südafrika niemals entstanden.
Es sind mehr als die Vorboten eines neuen 1968, das weltweit in der Luft liegt und hier dokumentiert ist.
An der Universität Witwatersrand in Johannesburg formierte sich 2015 die „Fees must fall“-Bewegung („Gebühren müssen weg“). Auslöser war die Erhöhung der Studiengebühren an öffentlichen Hochschulen um 10%. In dem vehementen Vorgehen der Studierenden für eine Rücknahme dieser Maßnahme bricht sich eine tiefsitzende Wut über weitaus größer dimensionierte Übel Bahn. Die Wits-Uni ist eine ehemalige Kolonial-Hochschule. Nelson Mandela war seinerzeit einer der wenigen „Nicht-Weißen“, die dort studieren durften. Mit dem Sieg über das Apartheid-Regime 1994 wurden auch diese Hochschulen für breitere Bevölkerungsschichten geöffnet – insbesondere für sozial Benachteiligte aus den Ghettos von Soweto. Der ANC (African National Congress), die Partei der ehemaligen Befreiungsbewegung, die seit 1994 ununterbrochen in Südafrika mit absoluter Mehrheit regiert, ist jedoch eine sozialdemokratische Partei, die sich schnell auch an den weltweiten neoliberalen Mainstream angeglichen hat – mit der Folge, dass trotz erlangter formaler Gleichheit vor dem Gesetz die noch immer himmelschreiende soziale Ungleichheit, bitterste Armut und gesellschaftliche Degradierung ganzer Bevölkerungsgruppen durch eine unsoziale, wirtschaftshörige Politik verschärft wurden. So auch an den Hochschulen, die nach ihrer sozialen Öffnung finanziell gekürzt und zunehmend privatisiert wurden.
Der Kampf der Studierenden gewinnt deswegen auch schnell an gesellschaftlicher Dynamik und Radikalität: die Forderung nach gebührenfreier Bildung ist untrennbar verbunden mit dem Kampf für soziale Gleichheit, Arbeitsrechte, eine Rücknahme der Privatisierungen öffentlicher Güter und einen konsequenten Bruch mit den kulturellen Kontinuitäten der Apartheid: im Inhalt des Lehrbetriebs, in den sozialen Institutionen und im gesellschaftlichen Alltag. Der allumfassend emanzipatorische Anspruch eint in neuer Weise Arbeitende, Intellektuelle und sozial Marginalisierte, Menschen unterschiedlichster Herkunft, Anschauung, Religion und Hautfarbe. Er stellt etablierte Denkmuster und die in Bürokratie erstarrte Politik fundamental in Frage. Er lässt die Kämpfenden über sich hinaus wachsen: auch die entfesselte staatliche Gewalt vermag die Bewegung nicht an ihrem Ausgreifen hindern. Mit ihrem Aufbegehren für eine gänzlich andere, humane Gesellschaft, wofür Alles vom alten Regime zu Fall zu bringen ist, trifft die Bewegung ein tiefgreifendes Bedürfnis von Vielen. Mit der neuen sozialen Bewegung gewinnen auch die Economic Freedom Fighters (EFF) als Partei links des ANC zunehmend an Bedeutung.
Die Studiengebühren wurden 2018 in den allermeisten südafrikanischen Hochschulen erfolgreich abgeschafft. Damit ist jedoch erst der Anfang gemacht. Die Zukunft ist neu offen. Sie kann solidarisch und menschengemäß gestaltet werden. Entwicklung ist eine dauerhafte, erfreuliche Angelegenheit. Jede Initiative in diesem Sinne ist von Belang. Eine lehrreiche Tat-Sache – für ein besseres Leben weltweit.
Insofern hier und jetzt erst Recht: Schluss mit Austerität!
„Es gibt etwas, das stärker ist als die rohe Gewalt der Bajonette: das ist eine Idee, deren Zeit gekommen ist und deren Stunde geschlagen hat.“ Gustave Aimard, „Les Francs-Tireurs“, 1861.
Hier findet ihr den Fler auch als pdf.